Washington Obama und das Mädchen namens Merkel

Washington · Bei einem festlichen Bankett und mit persönlichen Worten verlieh US-Präsident Barack Obama Kanzlerin Merkel die US-Freiheitsmedaille. Dabei erinnerte er an ihren Weg von einem ostdeutschen Mädchen, dessen Eltern beim Mauerbau weinen, bis zur Regierungschefin des vereinten Deutschland. Merkel zeigte sich gerührt. Wir dokumentieren ihre Rede.

Es war der Höhepunkt von Angela Merkels zweitägiger USA-Reise. Im Rosengarten des Weißen Hauses überreichte US-Präsident Barack Obama der Regierungschefin die Freiheitsmedaille, den höchsten zivilen amerikanischen Orden. In seiner Laudatio schlug Obama die Brücke vom ersten Nachkriegskanzler Konrad Adenauer zu Deutschlands erster Kanzlerin. Adenauer habe vor dem US-Kongress 1957 an die Millionen Ostdeutschen erinnert, die unter sowjetischer Besatzung in Unfreiheit lebten, erzählte Obama vor 250 Gästen an grün-weiß gedeckten Tischen. "Eine dieser Millionen Ostdeutschen war ein junges Mädchen namens Angela." Dann erzählte der Präsident von Merkels Eltern, die weinten, als die Mauer gebaut wurde. Von der jungen Frau, die keine Fremdsprache lernen durfte und es ablehnte, für die Stasi zu spionieren. Heute sei die Kanzlerin ein "Symbol für den Triumph der Freiheit", begründete Obama die Verleihung des Ordens.

Die Kanzlerin bedankte sich ungewohnt emotional. Wir dokumentieren ihre Rede im Wortlaut:

"Sehr geehrter Herr Präsident,

lieber Barack,

liebe Michelle Obama,

sehr geehrte Damen und Herren,

das erste politische Ereignis, an das ich mich aus meiner Kindheit bewusst erinnere, ist der Bau der Berliner Mauer vor 50 Jahren. Ich war damals sieben Jahre alt. Dass Erwachsene, auch meine Eltern, vor Fassungslosigkeit weinten, hatte mich tief erschüttert. Die Familie meiner Mutter zum Beispiel wurde durch den Bau der Mauer getrennt. Ich bin im unfreien Teil Deutschlands, der DDR, aufgewachsen.

Viele Jahre habe ich, wie viele, viele andere, von der Freiheit geträumt – auch von der Freiheit, in die USA zu reisen. Ich hatte mir das sehr fest vorgenommen für den Tag, an dem ich das Rentenalter erreiche; das lag bei Frauen in der DDR bei 60 Jahren, bei Männern erst bei 65 Jahren; so waren wir privilegiert als Frauen. Aber dass ich einmal im Rosengarten des Weißen Hauses stehen würde und dass ich von einem amerikanischen Präsidenten die Freiheitsmedaille empfangen würde – das lag jenseits aller meiner Vorstellungskräfte. Und glauben Sie mir, diese Auszeichnung ist ein wirklich sehr bewegender Moment.

Meinen Dank für diese außerordentliche Ehre richte ich an das amerikanische Volk, das so viel für uns Deutsche getan hat. Und ich danke Ihnen ganz persönlich, Herr Präsident, lieber Barack. Sie sind ein Mann mit starken Überzeugungen. Sie berühren mit Ihrer Leidenschaft und Ihren Visionen für eine gute Zukunft die Menschen – auch in Deutschland. Sie schaffen es immer wieder, wichtige internationale Impulse zu geben. Ich nenne nur das Thema Abrüstung, die Frage nach dem Verhältnis unserer Länder zu den Ländern des Mittleren Ostens und nicht zuletzt den Nahost-Friedensprozess.

Die Freiheitsmedaille sehe ich als Ausdruck der exzellenten deutsch-amerikanischen Partnerschaft an. Gemeinsam treten unsere Länder für Frieden in Freiheit ein. Welche Kraft die Sehnsucht nach Freiheit entfalten kann, hat die Geschichte schon oft gezeigt. Sie bewegte Menschen dazu, Ängste zu überwinden und sich offen gegen Diktaturen zu stellen – so auch im Osten Deutschlands und Europas vor rund 22 Jahren. Einige dieser mutigen Frauen und Männer begleiten mich heute. Die Freiheitsmedaille, die mir verliehen wird, wird auch ihnen verliehen. Die Sehnsucht nach Freiheit lässt sich nicht dauerhaft einmauern. Sie war es auch, die den Eisernen Vorhang zu Fall brachte, der Deutschland und Europa, ja sogar die Welt in zwei Blöcke teilte. Amerika stand entschlossen auf der Seite der Freiheit.

Dieser Entschlossenheit hatten wir Deutsche auch zu verdanken, dass unser Land die Einheit in Frieden und Freiheit wiedererlangte. Die Sehnsucht nach Freiheit vermag auch totalitäre Regimes ins Schwanken zu bringen. Mit großer Anteilnahme begleiten wir die tiefen Umbrüche in Nordafrika und der arabischen Welt. Freiheit ist unteilbar. Jeder auf dieser Welt hat das gleiche Recht auf Freiheit – sei es in Nordafrika oder in Belarus, in Myanmar und im Iran. Doch noch immer fordert der Kampf für Freiheit viel zu viele Opfer.

Dabei gehen meine Gedanken auch zu unseren Soldaten, Polizisten und unzähligen Helfern. Ich verneige mich in Demut vor allen, die für Freiheit ihr Leben in Gefahr bringen. In diesem Jahr jähren sich die schrecklichen Anschläge vom 11. September zum zehnten Mal. In diesen zehn Jahren haben wir unseren gemeinsamen Kampf gegen Terror und für Freiheit auf vielfache Weise verstärkt. Wir sehen, dass es zwei Seiten derselben Medaille sind, Freiheit zu haben und Freiheit zu verteidigen. Denn das unschätzbare, aber alles andere als selbstverständliche Gut der Freiheit muss immer wieder aufs Neue gepflegt und erkämpft werden.

Mag dies auch manchmal als endloser Kampf gegen Windmühlen erscheinen – meine persönliche Erfahrung heißt: Wovon wir heute noch nicht zu träumen wagen, das kann morgen schon Realität sein. Keine Kette der Diktatur, keine Fessel der Unterdrückung vermag der Kraft der Freiheit auf Dauer zu widerstehen. Das ist meine Überzeugung, die mich auch weiterhin leiten wird. So soll und so wird mir die ,Presidential Medal of Freedom' zugleich Ansporn und Bestätigung sein. Herr Präsident, ich danke Ihnen für die Ehre."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort