Washington Obama schreibt sich selbst in die Geschichtsbücher

Washington · Es ist noch nicht so lange her, da musste sich US-Präsident Barack Obama von allen Seiten spöttische Kommentare anhören, weil er "Hoffnung" und "Wandel" beschworen hatte und in Wahrheit regierte wie ein pedantischer Aktenverwalter, der nach der Devise handelt, dass Vorsicht die Mutter der Porzellankiste ist. Der mit Müh und Not durchs Parlament gebrachten Gesundheitsreform des Frühjahrs 2010 folgten der Aufstand der Tea Party und republikanische Siege bei den Kongresswahlen, die so deutlich ausfielen, dass sie den Präsidenten bis zum Abschied vom Amt an den Rand der Handlungsunfähigkeit zu treiben schienen. Der mit überreichlich Vorschusslorbeer bedachte Reformer ließ bisweilen an einen Resignierenden denken, der sich fast schon fatalistisch mit der Realität arrangierte. Er schien sich damit abgefunden zu haben, nur noch hier und da an den Stellschrauben drehen zu können.

Alles Szenen von gestern. Auf der Zielgeraden seiner Präsidentschaft erlebt Amerika einen Barack Obama, der so gar nichts mehr gemein hat mit dem zaghaft lavierenden Taktiker, der er bis zum vergangenen Herbst war. Zu beobachten ist ein Politiker, der auftrumpft wie nach einem Befreiungsschlag, der an seinem Vermächtnis bastelt, an seinen Platz in den Geschichtsbüchern denkt.

Wahlkampfbühnen muss er nicht mehr betreten, die Legislative ist fest in konservativer Hand, woran er nichts mehr ändern kann. Zu verlieren hat er nichts mehr, weshalb er mit einer Selbstsicherheit agiert, für die Matt Bai, einer der originellsten Kolumnisten der USA, eine schöne Metapher gefunden hat. Obama erinnere an diesen alten Burschen, der auf einen Zettel geschrieben habe, was er im Leben noch erledigen müsse, der die Liste nun Posten für Posten abhake - "und sich daran ergötzt, wie verblüfft die anderen dreinblicken".

Es begann damit, dass der Präsident ein Relikt des Kalten Krieges über Bord warf, eine in leeren Formeln erstarrte Kuba-Politik, und die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit Havanna ankündigte. Gegen teils heftigen Widerstand in den eigenen Reihen, ein Zweckbündnis mit den Republikanern schmiedend, legt er sich für zwei Freihandelsabkommen ins Zeug, ein transpazifisches und ein transatlantisches. Gegen eine breite Front von Skeptikern zog er die Atomverhandlungen mit Iran bis zu einem Ergebnis durch.

Mancher vergleicht ihn daher mit Richard Nixon, nicht mit dem Nixon des Watergate-Skandals, sondern mit dem ebenso kühlen wie kühnen Strategen, der 1972 völlig überraschend nach Peking reiste und damit ein bis dahin nahezu undenkbares Tauwetter einleitete. So wie Nixon eine Art stiller, zugleich schwieriger Partnerschaft mit China einfädelte, könnte Obama ein historischer Ausgleich mit Iran gelingen, eine Verständigung über vieles, was sich in den 36 Jahren seit Khomeinis Islamischer Revolution an Konfliktpunkten angehäuft hat. Er hoffe, sagt er, die angebahnte Öffnung motiviere das Land, sich im Nahen Osten "anders zu verhalten, weniger aggressiv, weniger feindlich, kooperativer, so wie es Nationen in der internationalen Gemeinschaft tun sollten".

(RP)
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