Washington Obama droht Syrien weiter mit Militärschlag

Washington · In seiner Rede an die Nation versucht sich der US-Präsident an einem Spagat: Zwar befürwortet Obama eine diplomatische Lösung, doch er zweifelt offenbar am Kooperationswillen des Regimes in Damaskus.

Zum Ende hin klang er wie 2009 in Oslo, wo er zu früh den Friedensnobelpreis erhielt und unbeeindruckt von der Gewalt sprach, deren Anwendung aus humanitären Gründen bisweilen zu rechtfertigen sei. In den letzten Redepassagen ermahnte Barack Obama seine "Freunde auf der Linken", ihren Glauben an die Würde aller Menschen in Einklang zu bringen mit den Bildern vergaster syrischer Kinder, die sich auf kalten Krankenhausfliesen vor Schmerzen krümmten, ehe das Leben aus ihren Körpern wich. "Manchmal reichen Resolutionen und verbale Verurteilungen einfach nicht aus", sagt der Präsident. Zuvor hatte er seine "Freunde auf der Rechten" ermahnt, sich nicht nur zu Amerikas Militärmacht zu bekennen, sondern auch zu handeln, wenn eine Sache gerecht sei.

Der Mann in der Mitte, so präsentiert sich Obama, als er zur besten Sendezeit, auf rotem Teppich im feierlichen East Room, über Syrien spricht. Eine Art Schlachtruf sollte es ursprünglich werden, doch der diplomatische Sprint der vorangegangenen 48 Stunden ließ zu Makulatur werden, woran seine Schreiber so sorgfältig gepuzzelt hatten. Nun versucht der Staatschef das Chaos zu ordnen, doch hinterher beschweren sich etliche Kritiker, er habe die Verwirrung mit seinem Sowohl-als-auch-Spagat nur noch verstärkt.

Einerseits versichert Obama seinen kriegsmüden Landsleuten, er denke nicht daran, Bodentruppen nach Syrien zu schicken, und falls es zu Luftschlägen komme, dann nur für kurze Dauer, nicht 78 Tage lang wie 1999 im Kosovo. Andererseits betont er, seine Generäle planten keine rein symbolische Aktion, sondern Angriffe mit empfindlicher Wirkung: "Das Militär der Vereinigten Staaten macht keine Nadelstiche." Zum einen beteuert er, die USA seien nicht der Weltpolizist. Zum anderen beschwört er die Ausnahmerolle, die Amerika seit fast sieben Jahrzehnten als Anker globaler Sicherheit spiele. "Und das bedeutet mehr, als internationale Abkommen zu schmieden. Es bedeutet auch, sie durchzusetzen." Zum einen soll sich an der Drohkulisse zusammengezogener Kriegsschiffe im Mittelmeer vorläufig nichts ändern. Zum anderen sieht Obama ermutigende Zeichen, weil Russland gewillt scheine, Baschar al Assad zur Vernichtung seiner Chemiewaffen zu drängen. Konkret wird er nur, als er mitteilt, er habe die Fraktionschefs des Kongresses um eine Verschiebung des Syrien-Votums gebeten – bis wann, bleibt offen.

Am Tag nach der Rede beschweren sich die Senatoren John McCain und Lindsey Graham, außenpolitische Hardliner im Kongress, über den Zickzackkurs: Obama hätte klarer skizzieren müssen, wie er die russische Initiative prüfen wolle.

Details einer Chemiewaffenkontrolle könnten heute in Genf festgelegt werden. Dort kommen die Außenminister Russlands und der USA, Sergej Lawrow und John Kerry, zusammen. Die russischen Vorstellungen dazu seien der Regierung in Washington bereits übermittelt worden, hieß es gestern im Moskauer Außenministerium. Diplomaten in Genf erklärten, die Minister würden zunächst ohne Beteiligung der UN bilateral die Vorstellungen erörtern und nach einem Konsens suchen. Die Gespräche seien bis morgen vorgesehen, könnten aber auch auf das Wochenende ausgedehnt werden.

Ungeachtet der internationalen Verhandlungen geht das Töten im Bürgerkriegsland weiter. UN-Ermittlern zufolge begehen dort sowohl Regierungstruppen als auch Rebellen schwere Kriegsverbrechen. Die Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates in Genf erklärte, Städte würden massiv beschossen, Einwohner ganzer Ortschaften vertrieben. Massaker seien an der Tagesordnung. Das Land sei zu einem "Schlachtfeld" geworden.

Die Ermittler werfen Assads Armee und ihren verbündeten Milizen, aber auch den Rebellen Folter, Vergewaltigungen, Geiselnahmen, außergerichtliche Hinrichtungen und massenhaften Mord vor. Der Bericht der Kommission basiert auf 258 Interviews, unter anderem mit Augenzeugen. Die Ermittler selbst durften nicht nach Syrien einreisen.

(RP)
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