Analyse Obama bangt um den Iran-Deal

Washington · Der US-Präsident versucht, das historische Atom-Abkommen mit Teheran zu retten. Dabei dreht sich die Debatte weniger um Uran-Zentrifugen, als vielmehr um das Selbstverständnis der USA als Weltmacht.

Dass Barack Obama nicht nur Golf spielte oder Fahrrad fuhr im Urlaub auf der Atlantikinsel Martha's Vineyard, ist kein Geheimnis. Obwohl es nette Bilder gab, die ihn samt Mountainbike auf schattigen Waldwegen zeigten. Der Präsident hat die Ferien auch genutzt, um schwankenden Abgeordneten ins Gewissen zu reden, Parteifreunden, für die das Atomabkommen mit Iran eine heikle Gratwanderung bedeutet.

Zumindest einen, Jerrold Nadler, einen Parlamentsveteranen aus New York, hat er nicht nur auf seine Seite gezogen, sondern auch dazu gebracht, öffentlich Farbe zu bekennen. Ein Schritt von symbolischer Bedeutung: Nadler (68) ist in der Achtmillionenstadt der erste jüdisch-amerikanische Politiker von Rang, der dem Deal seinen Segen gibt. Ein anderer, Chuck Schumer, der demnächst die Führung der demokratischen Senatsfraktion übernehmen dürfte, hatte sich zuvor gegen die Abmachung ausgesprochen. Nadlers Ja war Obama derart wichtig, dass er den Mann im Juli zu einem Vieraugengespräch ins Weiße Haus einlud. In einem Satz: Es wird intensiv um jede Stimme gekämpft.

Noch wagt niemand eine Prognose, wie es ausgeht, wenn der Kongress im September über die Einigung mit dem Iran entscheidet. Was sich abzeichnet, ist eine Zitterpartie für den Präsidenten, der das Vertragswerk als größten außenpolitischen Erfolg seiner Amtszeit verbucht und verhindern will, dass es von einer Zweidrittelmehrheit der Legislative ausgehebelt wird, von einer Mehrheit, gegen die er mit seinem Veto nichts ausrichten kann. Die Republikaner - in beiden Kammern tonangebend - lehnen das Papier bis auf wenige Ausnahmen ab. Folglich dreht sich alles darum, ob die Regierung wenigstens in der eigenen Partei eine so deutliche Mehrheit bekommt, dass sie die Vereinbarung retten kann. Es ist eine Debatte, in der es auch ums Technische geht, um Zentrifugen, Forschungslabors und Reaktoren. Doch in der Hauptsache geht es ums Grundsätzliche. Ob Amerika eine globale Führungsrolle beanspruchen kann, wenn es sich erst an die Spitze einer Sechs-Staaten-Allianz mit China, Russland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland setzt und das Ergebnis dann im Unterholz seiner Innenpolitik scheitert.

Es geht darum, wie die USA die Islamische Republik Iran sehen. Als einen Staat mit regionalen Interessen, die amerikanischen oft zuwiderlaufen, dessen Akteure gleichwohl so rational handeln, dass man mit ihnen ins Geschäft kommen kann. Oder als ein unberechenbares Regime, das sich allenfalls in Nuancen unterscheidet von dem des Ajatollah Khomeini, als US-Diplomaten 444 Tage in Geiselhaft saßen und die Geistlichkeit den Export der Revolution predigte. Vor allem aber dreht sich der Diskurs um die Frage, was schwerer wiegt, die Chancen oder die Risiken.

Obama beschwört die Chancen, er hofft auf einen Wandel in Teheran, der die Gemäßigten stärkt, bis es irgendwann kein Thema mehr ist, dass Iran lieber ein mittelöstliches Südkorea sein möchte als ein verarmtes, nuklear bewaffnetes Nordkorea. Als Preis dafür akzeptiert er eine Regelung, welche die atomare Infrastruktur weitgehend intakt lässt und das Risiko birgt, dass der Iran nach Ablauf des 15-jährigen Moratoriums in der Lage sein wird, in relativ kurzer Zeit eine Bombe zu bauen - falls seine Politiker es so entscheiden.

Die Moderateren unter Obamas Kritikern sprechen von einem Wagnis, das sie nach Abwägung aller Faktoren nicht eingehen wollen. Die Hardliner halten es mit dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten Ted Cruz. Sollte das Oval Office die Sanktionen aufheben, mache es sich zum wichtigsten Geldgeber des islamistischen Terrorismus, wettert dieser aus Texas.

Cruz' Senatorenkollege Bob Corker wendet sich gegen einen "schlechten Handel", mit dem die iranische Urananreicherung in 15 Jahren industrielle Ausmaße annehme. Corker, ein jovialer Südstaatler, der den Auswärtigen Ausschuss der kleineren Parlamentskammer leitet, galt aus Kabinettssicht eigentlich als Pragmatiker, mit dem man reden kann. Seine Worte machen klar, welch scharfer Wind Obama ins Gesicht weht.

Dagegen sind es einige der alten Strategen, auch konservative, die Partei für den Präsidenten ergreifen. Brent Scowcroft, einst Sicherheitsberater des Präsidenten George Bush, warnt davor, eine historische Chance zu vergeben. Verträge, die man aushandle, die einzige Art von Verträgen, die man in Friedenszeiten schließe, im Unterschied zu den Kapitulationsbedingungen am Ende eines Krieges, seien von Natur aus Kompromisse, schreibt Scowcroft in der "Washington Post". So sei es unter Ronald Reagan gelaufen, bei der Rüstungskontrolle mit der Sowjetunion. So habe es Richard Nixon gehalten, als er das Verhältnis zu China normalisierte. Und so sei es im Falle des Irans. Eine glaubwürdige Alternative zu diesem Kompromiss gebe es nicht, doziert der 90-jährige Ex-Sicherheitsberater. "Wenn wir davonlaufen, dann laufen wir allein." Die Verbündeten wären schockiert, das Sanktionsregime würde zerbröseln, und kein Abgeordneter möge sich der Illusion hingeben, dass eine neue US-Invasion in Mittelost hilfreich wäre.

29 Senatsmitglieder der Demokraten haben Obama bereits öffentlich ihre Unterstützung für den Iran-Deal zugesichert. Fünf weitere Stimmen fehlen, damit Obama eine Zweidrittelmehrheit gegen das Abkommen im Senat verhindert.

(RP)
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