Abschlussbericht des NSU-Ausschusses NSU-Ausschuss: Vernichtende Kritik an den Ermittlern

Berlin · Die Parteien fordern einhellig Reformen und Mentalitätswandel bei den Fahndungsbehörden.

Nein, von systematischem Rassismus in den Ermittlungbehörden wollte er nicht sprechen. Wohl aber von ausländerfeindlichen Tendenzen. Zum Abschluss sprach der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), von einem "historisch beispiellosen Desaster". Mit Blick auf die Ausschussarbeit fand er versöhnliche Worte: "Der Rechtsstaat ist nicht perfekt und nicht fehlerfrei. Aber er ist in der Lage die richtigen Schlüsse aus Fehlern zu ziehen", sagte er bei der Vorstellung des rund 1300 Seiten starken Abschlussberichts.

Dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) werden zehn Morde zur Last gelegt — neun davon an türkisch- und griechischstämmigen Migranten. Außerdem soll das NSU-Trio eine Polizistin getötet haben. Polizei und Nachrichtendienste waren der Bande über Jahre nicht auf die Spur gekommen. Die Neonazis flogen erst Ende 2011 auf. Einen rechtsextremen Hintergrund der Taten hatten die Ermittler über Jahre nicht in Betracht gezogen. Die Fahnder hatten teils die Familien der Opfer selbst verdächtigt.

Die über alle Fraktionen des Bundestags hinweg reichende "Koalition" zur Aufklärung von Behördenversagen bei der Fahndung hielt bis zum Schluss. An ihrem Ende stehen 47 Empfehlungen. Unter anderem wird die Einstellung von mehr Polizisten mit ausländischen Wurzeln vorgeschlagen. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern sowie von Polizei und Geheimdiensten müsse verbessert werden. Der Verfassungsschutz brauche neue Offenheit "und keine ,Schlapphut-Haltung' der Abschottung". Das System der V-Leute müsse reformiert werden.

Während die juristische Aufarbeitung der NSU-Terror-Serie immer wieder von Kritik begleitet wird, erwarb sich der NSU-Untersuchungsausschuss rasch hohes Ansehen. Auch gestern traten die Ausschussmitglieder weitgehend geschlossen auf. CDU-Obmann Clemens Binninger bezeichnete es als "einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik", dass die Fraktionen einvernehmlich den Abschlussbericht vorlegen. "Das ist wohl der Tatsache geschuldet, dass im Kern die Frage steht, ob der demokratische Rechtsstaat funktioniert", sagt Edathy. Seine Parteigenossin Eva Högl hatte vorab von einem "multiplen Versagen" der Behörden gesprochen, das der Bericht darlege. Der stellvertretende Ausschuss-Vorsitzende Stephan Stracke (CSU) nennt die Fälle eine "beschämende Niederlage der Behörden".

Den "einen, kausalen Fehler" oder eine Kumpanei zwischen Behörden und NSU hat es nach Auffassung des Ausschusses nicht gegeben. Als Ursache identifizierten die Abgeordneten eine Mischung aus Schlamperei, Vorurteilen, Konkurrenz- und Kirchturmdenken der Ermittler.

Die Anwälte der Opferfamilien sehen das anders. Sie hatten sich kurz vor der Vorstellung des Berichts mit scharfer Kritik zu Wort gemeldet: Der Bericht leugne das entscheidende Problem. Aus ihrer Sicht stand vor allem ein "institutioneller Rassismus" unter den Beamten einer erfolgreichen Ermittlung der Täter im Weg. Niemand im Ausschuss wollte sich dieser Deutung anschließen. "Nicht nachvollziehbar", nennt Högl die Kritik.

In Teilen stellt der Abschlussbericht freilich nur den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den Fraktionen dar. In einem Zusatzteil beharren etwa Linkspartei und Grüne darauf, den Verfassungsschutz abzuschaffen. Auch die FDP ist nicht ganz zufrieden. "Wir haben noch mehr Fragen als Antworten", sagte Hartfried Wolff. Er konnte sich mit seinem Vorschlag, den Ausschuss nach der Wahl weiterzuführen, nicht durchsetzen.

Die 47 Empfehlungen des Ausschusses nicht ernst zu nehmen, wird sich eine neue Bundesregierung gleich welcher Couleur dennoch keinesfalls leisten können. "Der Bericht wird einen hohen Veränderungs- und Reformdruck entfalten", meint der Christdemokrat Binninger. Polizei und Staatsanwaltschaft sollen dazu verpflichtet werden, bei Gewaltverbrechen einem möglichen rechtsextremen Hintergrund stets nachzugehen. Eine übergreifende Ermittlungseinheit soll immer wieder ungeklärte Fälle auf mögliche neue Erkenntnisse hin untersuchen. Der NSU-Fall soll in der Ausbildung von Polizisten und Staatsanwälten künftig eine Rolle spielen.

Edathy übergab den Bericht an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) mit einer beunruhigenden Erkenntnis: Nach den Untersuchungen könne er "überhaupt nicht ausschließen", dass sich erneut rechtsterroristische Gruppierungen in Deutschland bilden.

(RP)
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