Analyse NSA überwacht auch Gesichter

Washington/Düsseldorf · Zum Jubiläum der ersten NSA-Enthüllung kommt heraus, dass der US-Geheimdienst auch Gesichter erfasst. Deutsche Einwände gegen die NSA-Arbeit zählen wenig, aber der Generalbundesanwalt könnte nun doch aktiv werden.

Wer hört wen ab - und was man dagegen tun kann
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Foto: dpa, Jens Büttner

Wohin hysterische Sorge vor einem auswärtigen Gegner führen kann, beschrieb im Januar 1961 US-Präsident Eisenhower in seiner Abschiedsrede: Nach vielen Jahren des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion drohe ein "militärisch-industrieller Komplex" ohne echte demokratische Kontrolle die USA und damit die gesamte westliche Welt zu dominieren, warnte der frühere Oberbefehlshaber der Alliierten im Zweiten Weltkrieg.

Seit knapp einem Jahr weiß die Weltöffentlichkeit, dass sich die Warnung des Republikaners bestätigt hat - wenngleich anders und viel später als gedacht. Der US-Geheimdienst NSA hatte sich nach dem Schock der Terroranschläge vom 11. September 2001 ein geheimes Mandat geholt, um praktisch alle Informationen der Welt abzuspeichern und auszuwerten.

Am 6. Juni 2013 berichtet der britischen "Guardian", dass der US-Geheimdienst NSA (National Security Agency) täglich Millionen Telefondaten abschöpft - die Info kam vom früheren NSA-Mitarbeiter Edward Snowden. Größte Aufregung in Deutschland brachte die Enthüllung, dass auch Kanzlerin Angela Merkel gezielt abgehört worden war. Und am Wochenende kam nun ein weiteres Detail der Spitzelpraxis zu Tage: Laut "New York Times" sammelt die NSA täglich Millionen Bilder, rund 50 000 davon seien vom Computer auswertbare Gesichtsfotos. Als Ergebnis kann der Geheimdienst einzelne Personen rund um die Welt auf öffentlichen Plätzen ausfindig machen - "big brother is watching you", der große Bruder beobachtet uns.

Die neue Enthüllung bestätigt, dass der Datenhunger der US-Geheimdienste noch ausgeprägter ist, als es einige Autoren bereits vor den Snowden-Enthüllungen in Filmen wie "Der Staatsfeind Nr. 1" (1998) oder "Die Bourne Verschwörung (2004) beschrieben hatten. Und obwohl für die NSA zehntausende Mitarbeiter tätig sind, und obwohl die Behörde pro Jahr mehr als zehn Milliarden Euro kassiert, sind es erst die Indiskretionen des gerade 30 Jahre alten Computerexperten Edward Snowden, die die Welt über die Arbeit des mächtigsten Geheimdienstes des Globus informieren.

"Er ist ein Held", sagt Grünen Politiker Hans-Christian Ströbele, der Snowden an seinem derzeitigen Zufluchtsort in Moskau besucht hatte und für ihn Asyl in Deutschland fordert. CDU/CSU und auch die SPD versuchen dagegen, Distanz zu Snowden zu halten, um es sich nicht zu sehr mit den übermächtigen USA zu verscherzen.

Dabei ist der erste Jahrestag des Beginns der NSA-Enthüllungen guter Anlass, um Bilanz zu ziehen. Innerhalb der USA wird der NSA laut einem neuen Gesetzentwurf wohl verboten, anlasslos die Telefondaten aller Bürger zu sammeln - nur bei konkretem Anlass dürfen die von den US-Telefonkonzernen gespeicherten Daten ausgewertet werden. Dies bedeutet, dass immerhin der Datenschutz für US-Bürger steigen könnte.

Sehr viel schlechter sieht es dagegen für den Rest der Welt aus. Selbst Deutschland hat es als einer der engsten Verbündeten der USA nicht geschafft, eine verbindliche Zusage zu erhalten, dass das massenhafte Sammeln von Telefon- und Internetdaten aufhören wird. Ein "No-Spy-Abkommen", also den gegenseitigen Verzicht auf Spionage, wird es nicht geben - weiterhin ist unklar, welche technischen Abhöreinrichtungen auf dem Dach der US-Botschaft in Berlin aufgebaut sind. Auch schriftliche Fragen der Bundesregierung zur NSA-Arbeit blieben unbeantwortet.

So bleibt der Bundesregierung nichts anderes über, als die von ihr mitkontrollierte Deutsche Telekom darin zu bestärken, Daten nur noch innerhalb Kontinental-Europas zu transportieren, um sie zumindest teilweise vor den angelsächsischen Geheimdiensten zu schützen. Doch an zwei Fronten bahnen sich interessante Wechselbeziehungen zwischen Deutschland und den USA in Sachen NSA an.

Der Bundesnachrichtendienst (BND) wolle künftig massiv digital aufrüsten, berichten die "Süddeutsche Zeitung" und der WDR. Konkret sei geplant, Stimmungen in der Bevölkerung anderer Länder besser zu erfassen, indem Nachrichten bei sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter ausgewertet werden. "Irrsinn" sei das, erklärt Jan Korter, stellvertretender Fraktionschef der Linken im Bundestag. Auch Hans-Christian Ströbele warnt vor einer "deutschen NSA". Allerdings muss gesehen werden, dass der BND automatisiert nur Stimmungen und keine Einzelpersonen erfassen will - für mehr fehlt in Wahrheit das Geld.

Spannender wird sein, ob Generalbundesanwalt Harald Range sich nun doch der NSA-Affäre annimmt. Vergangene Woche hatten mehrere Medien berichtet, dass er formale Ermittlungen nicht starten werde, da es "keine belastbaren Beweise" gebe.

Laut "Spiegel" war das möglicherweise eine Falschmeldung. Danach hat sich die Bundesregierung darauf geeinigt, Range "springen zu lassen", falls er wegen des Abhörens des Telefons von Angela Merkel Ermittlungen startet. Sie werde ihr Weisungsrecht nicht nutzen, um ihn an solchen Ermittlungen zu hindern. Und da die Bundesregierung vom "Spiegel" ein kopiertes NSA-Dokument zum Abhören vom Merkel-Handy erhielt, gibt es auch mindestens einen formal brauchbaren ersten Beweis.

Sollte Range nun juristische Schritte ankündigen, wird er aus der Politik viel Beifall bekommen. "Wir sollten innenpolitisch in Amerika so viel Unruhe wie möglich stiften", sagt der Unions-Innenpolitiker Armin Schuster. Der SPD-Innenpolitiker Michael Hartmann erklärt: "Bei allem Respekt vor dem Generalbundesanwalt: Zumindest ein Verfahren einzuleiten, wäre kein schlechtes Signal. Auch um zu zeigen, dass Deutschland nicht alles hinnimmt."

(RP)
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