Berlin NSA-Affäre: Ströbeles spektakulärer Alleingang

Berlin · Seit Monaten hatte der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele die Begegnung mit Edward Snowden in Moskau vorbereitet. Nun gelang ihm der Coup – und er verstärkt damit eine Dynamik zur Kurskorrektur in Washington.

Wann immer Hans-Christian Ströbele in den letzten Monaten vor den Türen des geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremiums im Keller des Bundestages auf Edward Snowden angesprochen wurde, lautete die Botschaft des Grünen-Politikers an die Bundesregierung: Nehmt über euren Geheimdienst Kontakt zum Ex-US-Geheimdienstmitarbeiter auf, holt euch Informationen aus erster Hand über Ausmaß und Intensität amerikanischer Spionage gegen deutsche Bürger. Insgeheim handelte Ströbele nach Erich Kästner: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es." Er tat es selbst.

Seit Monaten stand Ströbele im Kontakt mit dem Umfeld des in Russland untergetauchten Snowden. Seit Juni rechnete er damit, dass es kurzfristig die Chance geben könnte, den zu treffen, der auf den US-Fahndungslisten ganz oben steht. Ständig in Flug-Bereitschaft, knickte Ströbele auch große Teile seines Sommerurlaubs. Er hatte den Riecher: Wenn Snowden mit seinen Enthüllungen weltweit Lawinen auslöste, kann eine direkte Botschaft an Berlin auch in Deutschland für Bewegung sorgen.

Deshalb vereinbarte Ströbeles Büro mit Snowden schon im Vorfeld einen Brief, in dem er seine Motive schildern und das klare Angebot machen sollte, "gerne" nach Deutschland kommen und aussagen zu wollen. Als Ströbele am Donnerstag mit zwei deutschen Investigativ-Journalisten von seinem Moskauer Hotel aus nach einer "längeren Autofahrt" mit Snowden zusammentraf, hatte der den Brief bereits fertig. Ohne ihn zu lesen, unterschrieb Ströbele, um damit zu testieren, ob das Schreiben wirklich von Snowden ist.

Es war ein Coup, der im Juni noch nicht eine derartige Welle geschlagen hätte. Aber jetzt, mitten in der aufgepeitschten See der diplomatischen Verstimmungen über das Abhören zahlreicher Staatsführer durch den US-Geheimdienst, verstärkte der Ströbele-Trip eine zuerst zaghaft, dann immer deutlicher erkennbare Dynamik.

Denn Washington hat von Dementi und Beschwichtigung auf Reue und Korrektur umgeschaltet. US-Außenminister John Kerry räumte während einer Videozuschaltung zu einer Konferenz in London ein, dass die Überwachung "in einigen Fällen zu weit gegangen" sei. "Wir sind dabei, zu versuchen sicherzustellen, dass es künftig nicht mehr passiert", fügte Kerry mit einem Hinweis auf US-Präsident Barack Obama hinzu. Dieser unternehme jetzt eine "gründliche Überprüfung, damit niemand das Gefühl von Missbrauch haben wird".

Zuvor war bekannt geworden, dass Obama den Geheimdienst NSA aufgefordert habe, die Hauptquartiere der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds nicht mehr abzuhören. Auch die Ausspähaktivitäten am Sitz der Vereinten Nationen in New York sollten reduziert werden.

Kerry verwies zwar darauf, dass es in den Berichten über die NSA Übertreibungen und falsche Verdächtigungen gebe. Außerdem sei durch die frühzeitige Beschaffung von Informationen verhindert worden, dass "Flugzeuge runterkommen, Gebäude gesprengt und Menschen ermordet werden". Doch auch aus dem US-Kongress wächst inzwischen der Druck auf die Regierung, die Geheimdienstaktivitäten kritisch zu hinterfragen.

Waren die Reaktionen in den USA zunächst geprägt von einem Befremden über eine überempfindliche (abgehörte) Bundeskanzlerin, werden nun die negativen Folgen für die USA immer klarer. So sorgen sich Internet-Konzerne um ihre weltweiten Geschäfte. Google, Facebook, Microsoft, Yahoo und AOL forderten in einem gemeinsamen Brief an Kongressabgeordnete "substanzielle Verbesserungen zum Schutz der Privatsphäre".

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort