NRW-Etat vor Gericht

Sobald der rot-grüne Nachtragshaushalt am Donnerstag im Landtag verabschiedet ist, will die Opposition dagegen vor dem Verfassungsgerichtshof in Münster Klage erheben.

Düsseldorf Übermorgen ist für die NRW-SPD der Tag der Entscheidung. Am Donnerstag werde sich zeigen, ob der Nachtragshaushalt im Landtag eine Mehrheit findet oder nicht. Scheitert er, werde sich NRW auf Neuwahlen einstellen müssen, hat die SPD jetzt noch einmal bekräftigt.

Doch so weit wird es nicht kommen. Zwar haben SPD und Grüne keine Mehrheit im Parlament, sondern zusammen nur 90 von 181 Sitzen. Doch um den Nachtragsetat braucht sich die von Hannelore Kraft (SPD) geführte Minderheitsregierung keine Sorgen mehr zu machen. Die elfköpfige Fraktion der Linken wird dem Beschluss ihres Parteirats ("kleiner Parteitag") folgen und sich übermorgen bei der Abstimmung im Landtag der Stimme enthalten. Mit 90 rot-grünen Stimmen gegen 80 von CDU und FDP dürfte das Zahlenwerk dann eine satte Mehrheit bekommen.

CDU und FDP wollen umgehend vor dem Verfassungsgerichtshof (VGH) in Münster gegen den Nachtragsetat klagen. Die darin vorgesehene Neuverschuldung von 8,4 Milliarden Euro sei vollkommen überzogen, so der CDU-Finanzexperte Christian Weisbrich, der von einer "mutwilligen Verschuldungsorgie" spricht. CDU und FDP kritisieren vor allem, dass die rot-grüne Landesregierung die Rücklage für Risiken im Zusammenhang mit ausgelagerten WestLB-Papieren um 1,3 Milliarden Euro aufstocken will. Bis zum Jahresende, so argumentiert die Opposition, wird dieses Geld mit Sicherheit nicht benötigt. Falls das Land aber doch Garantieleistungen erbringen müsse, könne es auf die bereits vorhandene Rücklage von 1,1 Milliarden Euro zurückgreifen. Die zusätzlichen 1,3 Milliarden Euro gehörten nicht in den Nachtrag, sondern, wenn überhaupt, in den Haushalt für 2011. NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) hat die Einwände zurückgewiesen – allerdings wenig überzeugend, wie CDU und FDP meinen. Sie sprechen von Haushaltstricks und einem durchsichtigen Manöver: Wenn die Landesregierung in diesem Jahr die Neuverschuldung so hoch ansetzt, werde es ihr 2011 relativ leicht fallen, die Marke zu unterschreiten und damit ihren Konsolidierungswillen unter Beweis zu stellen.

Manche Oppositionspolitiker halten es aber auch für denkbar, dass die WestLB-Rücklage als "Sparstrumpf" dienen soll, mit dem Rot-Grün im nächsten Jahr Sonderwünsche der Linken erfüllen kann, um sich deren Zustimmung zum Haushalt 2011 zu sichern.

Wie auch immer: Mit neuen Krediten Rücklagen für einen eventuellen Notfall zu bilden, ist ein ziemlich fragwürdiges Unterfangen – privat wie auf Staatsebene. Einem Staat ist dieser Weg dann sogar untersagt, wenn seine Neuverschuldung die Höhe der Investitionen übersteigt und der Haushalt somit jenseits der von der Verfassung gezogenen Grenze liegt. Das musste bereits 2003 der frühere NRW-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) zur Kenntnis nehmen. Der VGH gab damals der Klage der CDU statt und erklärte die Haushalte der Jahre 2001 und 2002 wegen kreditfinanzierter Rücklagen für verfassungswidrig.

Doch das scheint Rot-Grün jetzt wenig zu beeindrucken. Kraft behauptet, mit dem Nachtragsetat werde lediglich eine "Schlussbilanz" der schwarz-gelben Vorgängerregierung gezogen. Diese hat für 2010 zwar eine Neuverschuldung von rund 6,5 Milliarden Euro vorgesehen, aber Christian Weisbrich glaubt, dass wegen der Konjunkturbelebung, die eine Milliarde Euro mehr in die Landeskasse spült, die Neuverschuldung auf mindestens fünf Milliarden Euro heruntergedrückt werden könnte.

"Falsch", entgegnet Rot-Grün. Die Regierung Rüttgers habe einen Scherbenhaufen hinterlassen, den es mit Hilfe des Nachtragshaushalts abzutragen gelte. So sollen die Kommunen Mittel zurückbekommen, die ihnen Schwarz-Gelb vorenthalten habe. Die NRW-CDU wird nicht nur (gemeinsam mit der FDP) gegen den Nachtragsetat klagen, sondern die Union will in Münster auch eine Einstweilige Anordnung gegen den Haushaltsvollzug erwirken. Dies wäre ein Präzedenzfall; Erfahrungen damit gibt es nicht. "Es wäre das erste Mal in der Rechtsgeschichte", so Weisbrich zu unserer Zeitung. Unklar ist , ob der VGH sich darauf einlässt.

Es könne nicht sein, dass VGH-Urteile folgenlos blieben, heißt es in der Union mit Blick auf den Spruch von 2003. Deshalb soll das oberste Gericht der Landesregierung untersagen, die Positionen ihres Nachtrags umzusetzen. Dadurch, so Weisbrich, entstünde dem Land kein Schaden. Alles das, was rechtlich geboten sei, könne unternommen werden. Allerdings wäre es Rot-Grün dann nicht mehr möglich, "sich Winterspeck anzufressen". In ihrer Kritik am rot-grünen Nachtragsetat bekommt die Opposition Rückendeckung vom Bund der Steuerzahler NRW und dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung. Es kritisiert die Aufstockung der Neuverschuldung und fordert, neue Schulden "nachvollziehbar mit korrekter zeitlicher Zuordnung zu präsentieren". Insgesamt verstärke sich der Eindruck, "dass die Landesregierung den Nachtragshaushalt auch als politische Bilanz der Vorgängerregierung nutzt". Noch schärfer formuliert Georg Lampen, Vorsitzender des Steuerzahlerbundes NRW: "Die Rekordverschuldung ist nicht nur unnötig, sondern auch verfassungswidrig."

(Rheinische Post)
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