Deutscher Bundestag: schwarz-rote Übermacht Norbert Lammert sorgt sich um Rechte der Opposition

Berlin · Schon bei der ersten Sitzung des 18. Bundestages wurde die Übermacht eines künftigen schwarz-roten Bündnisses deutlich.

Deutscher Bundestag: schwarz-rote Übermacht: Norbert Lammert sorgt sich um Rechte der Opposition
Foto: dpa, Michael Kappeler

Die Besonderheit dieses 18. Deutschen Bundestages wird gleich bei seiner ersten Sitzung klar: Die Opposition von Grünen und Linken kann noch so lamentieren über die Vergrößerung des Präsidiums — gegen die übergroße Mehrheit von Union und SPD hat sie nicht die geringste Chance. Gerade hat die künftige große Koalition alle Bedenken plattgewalzt, da springt auch schon SPD-Chef Sigmar Gabriel auf, geht an den Grünen vorbei mit fröhlicher Miene zu Angela Merkel und wandelt dann händeschüttelnd durch die Reihen der Union.

In Zeiten wie diesen sind Minderheitenrechte wichtig wie nie. Denn diese Opposition kann nicht einmal einen Untersuchungsausschuss gegen die Regierung durchsetzen, weil die Verfassung dafür eine 25-Prozent-Hürde vorschreibt, die Opposition aber auf gerade 20,1 Prozent der Sitze kommt. Der wiedergewählte Bundestagspräsident Norbert Lammert fordert denn auch bessere Minderheitenrechte. Im präzis-pointierten Lammert-Deutsch lautet das: "Die Kultur einer parlamentarischen Demokratie kommt weniger darin zum Ausdruck, dass am Ende Mehrheiten entscheiden, sondern dass Minderheiten eigene Rechtsansprüche haben, die weder der Billigung noch der Genehmigung durch die jeweilige Mehrheit unterliegen."

Da sind Linke und Grüne die mit dem kräftigsten Applaus für den CDU-Politiker. Der hat sich artig insbesondere bei seiner eigenen Fraktion bedankt, und zwar mit dem augenzwinkernden Hinweis, dass sein Amtsverständnis "in den eigenen Reihen nicht immer stürmische Begeisterung erzeugt". Dieser Groll sitzt bei der Union noch tief: Lammert gab Euro´-Rebellen der eigenen Koalition seinerzeit Rederecht.

Letztlich verhilft dieses Amtsverständnis Lammert aber auch zu einem Rekord-Ergebnis: 94,6 Prozent stimmten für die Wiederwahl. Diesen Wert nimmt Lammert als Ansporn, dem Bundestag Beine zu machen: Er kündigt eine Parlamentsreform an, die größere Rechte für Minderheiten umfassen, zu mehr Sitzungen führen und Formate wie die Fragestunde attraktiver machen soll. Außerdem will er das neue, kaum noch verständliche Wahlrecht auf den Prüfstand stellen.

Die Probleme, die das herkömmliche Rederecht in einem 80:20-Parlament aufwirft, kommen auf offener Bühne noch nicht zur Sprache. Aber die frühere Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) plädiert in Zeiten einer großen Koalition für mehr Redezeit der Opposition. "Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit, wonach sich die Parlamentsmehrheit in der Besetzung der Ausschüsse abbildet, kann für die Redezeit meines Erachtens nicht gelten", sagt Zypries. "Es gilt vielmehr, dass das Prinzip der Rede und Gegenrede nicht zu weit eingeschränkt werden darf", fügt sie hinzu. Nach bisheriger Regelung würde bei einer 30-minütigen Aussprache die Koalition 24 Minuten sprechen, die Opposition sechs. Bei einer aktuellen Stunde gäbe es neun Redner der Koalition und nur zwei der Opposition. "Das entspricht nicht den Grundsätzen einer lebendigen Demokratie, die ja gerade durch den Diskurs bestimmt wird", gibt Zypries zu bedenken.

Gleichwohl wirbt Lammert auch für die neuen Verhältnisse: Große Mehrheiten seien "nicht verfassungswidrig". In einem wird er sich aber kaum durchsetzen: Es will mit der Arbeitsfähigkeit des Parlaments nicht auf das Ende der Koalitionsverhandlungen warten. Doch bei der ersten Sitzung sind viele Abgeordnete mit dem Kopf woanders, bereiten sich auf das Ringen mit Union oder SPD vor — ganz besonders in der ersten Reihe. So schreibt Kanzleramtschef Ronald Pofalla eifrig mit, was ihm Gabriel, SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles erläutern. Mit dem Block geht Pofalla anschließend zu Merkel, die mit ihm die Stichworte studiert. Der neue Bundestag ist zwar eröffnet. Aber richtig los geht es erst, wenn die Regierung steht.

(may- / qua)
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