"Nicht kurzatmig sparen"

Interview Der Kieler SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig

Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie als möglicher neuer Ministerpräsident?

Albig Schleswig-Holstein muss wieder erfolgreich werden. Ich habe meine Zweifel, ob die Schuldenbremse mit ihren derzeitigen Vorgaben dafür die einzige Wegweisung sein kann. Meine Sorge ist, dass sie an Akzeptanz verliert, wenn wir kurzatmig und willkürlich Ausgaben senken und dann die nachhaltige Lösung unserer wirklichen Probleme aus dem Blick verlieren.

Wie meinen Sie das?

Albig Die jetzige Landesregierung glaubt, dass sie wegen der sinkenden Schülerzahlen vor allem Lehrerstellen streichen müsse. Ich bin davon überzeugt, dass wir nicht hinnehmen dürfen, dass beispielsweise zehn Prozent unserer Schüler ohne jeden Abschluss ihre Schullaufbahn beenden. Das sind allein in Kiel jedes Jahr 200 junge Leben. Hart gesprochen müsste der Staat für jeden Jugendlichen ohne Ausbildung jährlich 10 000 Euro Rückstellung künftiger Transferkosten bilden. Das kostet allein in Kiel in den nächsten 50 Jahren 100 Millionen Euro – nur für einen Jahrgang. Und doch soll das Streichen von Lehrer-Stellen ein kluger Weg der Konsolidierung sein? Weniger Lehrer statt die Schüler-Lehrer-Relation zu verbessern und damit vielleicht die Zahl der Schüler ohne Abschluss halbieren und dramatische soziale Folgekosten vermeiden helfen?

Sie stellen also die Schuldenbremse infrage?

Albig Nein, im Gegenteil. Wir müssen sie nur richtig verstehen. Jede Gesellschaft muss langfristig mit dem auskommen, was sie an Einnahmen hat, sonst erstickt sie an den Schuldzinsen. Die Schuldenbremse als Ziel ist absolut richtig, und wir haben damit eher zu lange gewartet. Aber wir müssen uns an den Realitäten orientieren. Eine Gesellschaft, die über 30 Jahre den falschen Weg gegangen ist, braucht lang angelegte, sparsame und konsequente Politik, um die Folgen dieses Irrweges erfolgreich rückgängig zu machen. Es wäre aber absurd, wenn wir etwa Lehrerstellen streichen, um die Neuverschuldung 2020 für einen Moment auf Null zu bringen, uns aber um die damit verbundenen haushalterischen Folgekosten für die Gesellschaft nicht kümmern. Das ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Die Schuldenbremse muss ein deutlich langfristigeres und wirklich nachhaltiges Projekt werden. Wir werden die Debatte neu führen müssen.

"Jetzt hauen wir Püppi aus den Pumps", sagte Steinbrück, als Sie in Kiel gegen die CDU-Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz antraten. Haut er jetzt Mutti aus dem Amt?

Albig Ich bin sicher, dass Rot-Grün es 2013 schaffen kann. Wenn die SPD ihren Weg konsequent weiter geht und sich nicht verrückt machen lässt, wird sie 2013 ein ordentliches Ergebnis in den Dreißigern hinlegen. Zusammen mit den Grünen kommen wir dann deutlich über 50 Prozent. Ob mit Steinbrück oder einem anderen Kandidaten, sollte am Ende des Weges und nicht am Anfang entschieden werden.

Werden SPD-Delegierte einen Mann zum Kanzlerkandidaten wählen, der sie mal als Heulsusen bezeichnete?

Albig Warum denn nicht? Mit Heulsusen war ja mitnichten eine Parteikritik gemeint, sondern das Gegenteil: der Wunsch nach einer starken und selbstbewusst auftretenden Partei. Gewählt wird nur, wer sich selber mag und nicht, wer nur rumjammert. Das war ein flammendes Plädoyer für seine Partei, der er zutiefst verbunden ist, und nicht gegen sie.

Müsste das Ausland Angst haben vor einem Kanzler Steinbrück, der im Konflikt auch schon mal nach der Kavallerie ruft?

Albig Wenn es so weit käme, müsste er sicher noch etwas sensibler werden, ob man jeden Vergleich und jedes Bild, das einem einfällt, auch sofort aussprechen muss (lacht). Andererseits ist diese Spontaneität und Klarheit auch seine Stärke und das, was die Leute an ihm mögen. Vor einem guten und klugen sozialdemokratischen Kanzler, wie immer er heißen mag, muss niemand Angst haben. Angst haben muss man nur vor schlechter Politik. Wie die der heutigen Regierung.

Gregor Mayntz führte das Interview mit dem SPD-Spitzenkandidaten in Schleswig-Holstein.

(RP)
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