Neues Massaker in Syrien

Damaskus Zuerst kamen die Panzer und die Kampfhubschrauber. Mit schweren Waffen hat die syrische Armee offenbar die Ortschaft Tremseh in der Unruheprovinz Hama beschossen. In Tremseh hatten jüngst viele Flüchtlinge aus anderen Teilen Syriens Unterschlupf gesucht, denn der Ort galt als einigermaßen sicher. Doch dann wurde er für die Zivilisten zur Todesfalle. Die Zahlen schwanken; von bis zu 250 Toten ist die Rede.

Der Überfall geschah bereits am Donnerstag. Nach dem Beschuss stürmten Augenzeugen-Berichten zufolge Mitglieder der regierungstreuen Shabiha-Miliz den Ort; viele von ihnen kamen aus den umliegenden Dörfern. Dann begann das Morden. "Viele wurden mit Messern getötet – Frauen und Kinder, mit Messern", sagte ein Oppositionsaktivist in Istanbul. Ganze Familien seien hingemetzelt worden.

Die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte stellte ein Video ins Internet, das 15 Leichen aus Tremseh zeigen soll. Die Leichen der Männer, alle jung bis mittleren Alters, liegen nebeneinander aufgereiht auf dem Lehmboden; teilweise sind deutlich Schusswunden zu sehen. Das Regime bezichtigte "bewaffnete Terroristengruppen" der Bluttat.

Die Opposition befürchtet nun eine weitere Eskalation. Denn die meisten Opfer in Tremseh waren sunnitische Muslime, und die meisten der mutmaßlichen Täter waren Bewohner alawitischer Dörfer in der Gegend. Extremisten der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit in Syrien gegen die Minderheit der Alawiten, der auch Präsident Baschar al Assad angehört – "das macht mir Angst", sagte der Oppositionsvertreter in Istanbul.

Massaker wie das in Tremseh haben Methode. Mitglieder der Exilopposition erklärten den jüngsten Angriff auf Tremseh damit, dass die Regierungstruppen ein blutiges Exempel statuieren wollten. Ende vergangenen Jahres hatten sich die Rebellen der "Freien Syrischen Armee" (FSA) und die syrische Armee in Tremseh erste Gefechte geliefert. Anschließend zog sich die FSA zurück, um zivile Opfer zu vermeiden. Das sprach sich herum – Tremseh erhielt den Ruf einer einigermaßen sicheren Rückzugsmöglichkeit. Mit dem neuen Massaker habe das Regime seinen Gegnern nun zeigen wollen, dass sie nirgendwo sicher seien, lautet die Vermutung.

Seit Ende Mai starben mehrere Hundert Menschen bei ähnlichen Überfällen in der Provinz Hama. Die FSA setzte den Regierungssoldaten deshalb ein Ultimatum: Wer bis Ende Juli nicht desertiert sei und sich öffentlich der Opposition angeschlossen habe, werde als Verbrecher angesehen und müsse damit rechnen, getötet zu werden.

Das "Wall Street Journal" berichtete unterdessen unter Berufung auf US-Geheimdienste, syrische Sicherheitskräfte hätten begonnen, Chemiewaffen aus den Depots zu holen. Unklar sei, ob die Waffen vor Aufständischen in Sicherheit gebracht oder für den Einsatz vorbereitet werden sollten. Syrien besitzt größere Mengen der Kampfstoffe Sarin und Senfgas. Bei einem Kollaps der Assad-Regierung wollen die USA demnach Spezialeinheiten nach Syrien schicken, um die Chemiewaffenlager zu sichern.

Internet Bilder aus Homs unter www.rp-online.de/politik

(RP)
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