Düsseldorf Neue Landesfürsten fremdeln mit Berlin

Düsseldorf · Ministerpräsidenten wie Johannes Rau oder Christian Wulff sagten sich: wenn Bundespolitik, dann als Bundespräsident.

Kann sich jemand vorstellen, dass die Ministerpräsidenten Helmut Kohl (Rheinland-Pfalz, 1969-76) und Gerhard Schröder (Niedersachsen, 1990-98) über die "Schlangengrube Bundespolitik" geklagt hätten? Und wenn man sich das vorstellen mag, dann doch wohl nur so: dass jeder der beiden möglichst bald die Königskobra unter all dem Natterngezücht in Bonn beziehungsweise Berlin sein wollte.

Kohl und Schröder waren als Landespolitiker gestartet, hatten aber nie den Hauch eines Zweifels daran gelassen, dass sie im Bund bis ganz nach oben strebten; dorthin, wo der Eiswind weht, dem nur die Wetterhähne mit härtester Legierung standhalten. Kohl sagte 1976 nach knapp verlorener Bundestagswahl im TV-Studio: "Ich will Kanzler werden." Schröder erklärte als junger Abgeordneter, am Kanzleramtszaun rüttelnd: "Ich will hier rein" - und signalisierte später stets: Die Welt der Provinz ist nicht genug.

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, immerhin SPD-Bundesvize und für manche in ihrer Partei die Herzdame unter möglichen Kanzleranwärtern, scheint das Gegenbeispiel der politischen Alphatiere Kohl und Schröder sein zu wollen. Kraft, bloß das Beta-Geschöpf aus der Landesarena, dem die Trauben in Berlin zu hoch hängen und das diese deshalb für ungenießbar erklärt? Ihr viel diskutiertes vorösterliches Lamento über den Intrigantenstadl Bundes-SPD, in dem jeder zu jeder Zeit mit Ruchlosigkeiten rechnen muss, legt Vermutungen nahe, dass da jemand innerlich Berlin und seinen harten Gesetzmäßigkeiten den Rücken kehrt. Mit welcher Motivation und in welcher Gemütsverfassung auch immer die 52-Jährige über die ach so böse Berliner SPD-Politikwelt lamentierte, in der allerlei hinterlistige Genossen (und Genossinnen?) mit dem Dolch im Gewande auf der Lauer liegen: Zu glauben, durch das Anstimmen von Klageliedern gewinne man an politischer Durchschlagskraft bei den regierenden Gabriels, Steinmeiers und Nahles', die die SPD im Bund prägen, ist bestenfalls naiv. Im schlimmeren Fall lautet das Berliner Echo auf das Düsseldorfer Greinen: Gewogen - und für zu leicht befunden.

Als Rudolf Scharping 1995, nachdem ihm Stunden zuvor Oskar Lafontaine auf dem Bundesparteitag in Mannheim den SPD-Vorsitz entrissen hatte, sein weinerliches "Oskar, manches hat bitter wehgetan" hervorbrachte, war ihm die politisch beinahe tödliche Dosis Mitleid gewiss. Allein Johannes Rau saß da mit Tränen in den Augen - auch er war ein Fürst der Provinz, dem es nie ernsthaft ums politisch härteste Amt im Bund ging (zur Kanzlerkandidatur 1987 rief man den wackeren Wuppertaler aus, wie man einen alten Hund zur Jagd trägt). Rau dachte stets: wenn Bund - dann Bundespräsident. Leben im Oberstübchen der Republik, hübsch neutral, gepolstert, machtpolitisch belanglos. Rau schaffte das 1999 im zweiten Anlauf, die machtgierigen Genossen hielten ihm die Steigbügel, auf dass ein Lebenstraum des Provinzstars Rau, den Helmut Schmidt in seinem altbekannten Hochmut einst "den Hannes" nannte, in Erfüllung gehe.

Auch der geborene Landespolitiker Christian Wulff griff 2010 dankbar zu, als sich ihm die Chance bot, das Ministerpräsidenten-Amt in Hannover mit dem Goldrand-Job im Schloss Bellevue zu tauschen. Zwei Jahre zuvor hatte Wulff, der daheim in Niedersachsen politisch unangefochten war und in der CDU als Hoffnungsträger und Mann für alle Fälle galt, sich selbst aus dem Garten genommen - und in den kommen laut einem Sprichwort bekanntlich nur die Harten.

"Ich tauge nicht zum Kanzler", hatte Wulff dem "Stern" diktiert - und die politische Selbstentmannung mit dem Satz komplettiert, ihm fehle der Lustgewinn an der Macht sowie das Gen zum Alphatier. Dazu denken sich die Alphatiere: Prima, einer weniger auf dem Paukboden.

Doch es gibt auch politisch gerissene "Local Heroes" (die lokalen Helden der Politik) - vielleicht gehört Kraft dazu -, die sich sagen: Je mehr ich mich mit Haut und Haaren zu meiner Heimatscholle bekenne und den wirklichen oder bloß eingebildeten Spree-Titanen die kalte Schulter zeige, umso besser für meine Karriere. Als der von seinen Bundes-Genossen 2008 vom Berliner Hof gejagte Ministerpräsident Kurt Beck zurück zu seinen Mainzern kam, blieb er dort noch Jahre das neben Erwin Teufel (Baden-Württemberg) erfolgreichste Landei unter den Ministerpräsidenten.

Es gibt eben politische Tode, die sich in der Provinz aufs Schönste überleben lassen.

(RP)
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