Nach Massakern steht Jemen vor dem Bürgerkrieg
Kairo Sie kommen mit dem Zählen der Toten nicht mehr nach im Jemen. Zunächst hatte es noch geheißen, mindestens 26 Menschen seien ums Leben gekommen, als Sicherheitskräfte am Sonntag das Feuer auf Zehntausende eröffneten, die in der Hauptstadt Sanaa das endgültige Aus für Präsident Ali Abdullah Saleh forderten. Dann erklärte ein Arzt, dass die Zahl der Toten wohl auf 50 ansteigen werde.
Da waren noch gar nicht die mindestens 20 Toten von gestern mitgezählt. Scharfschützen des Regimes schossen erneut auf die Demonstranten, nachdem diese versucht hatten, ins Zentrum der Stadt zu marschieren. Jüngstes Opfer war ein unbeteiligtes Kind. "Ich bin aus dem Auto gestiegen, um Essen einzukaufen, und habe meine beiden Söhne im Auto gelassen, als ich einen Schrei des Älteren gehört habe. Der Kleinere hatte einen Kopfschuss", erzählte der Vater: "O Gott, helft uns, schaut, wie die Menschen hier abgeschlachtet werden."
Jemens Diktator residiert derzeit gar nicht im Land. Saleh weilt zur Behandlung in Saudi-Arabien, nachdem er im Juni bei einem Anschlag schwer verletzt worden war. Inzwischen, heißt es, sei er wieder so weit gesundet, dass er theoretisch zurückkehren könnte. Aber sowohl die Saudis als auch die USA wollen das verhindern.
Die neue Eskalation verstärkt die Angst vor einem Bürgerkrieg. De facto haben die Saleh-Getreuen im Militär und Sicherheitsapparat noch die Macht und sind, wie die letzten 48 Stunden gezeigt haben, auch bereit, diese brutal einzusetzen. Eigentlich führt Vizepräsident Abed Rabbu Mansur Hadi die Geschäfte. Er versucht seit Wochen, einen Übergangsplan auszuhandeln. Tatsächlich aber ist das Land völlig paralysiert: Die Saleh-Getreuen sind nicht willens, ihre Macht abzugeben, und auch die Saudis arbeiten daran, dass der Wandel beim südlichen Nachbarn nicht zum kompletten Bruch mit der alten Zeit wird – Riad fürchtet, selbst einmal Opfer des "Arabischen Frühlings" zu werden.