Analyse Nach Italien – Europas Sparkurs wankt

Düsseldorf · Die Italiener haben der Sanierungspolitik eine harte Abfuhr erteilt. Das wird die Debatte über den Konflikt zwischen Sparen und Wachstum erneut anheizen. Dabei wurde mit dem Sparen noch gar nicht wirklich begonnen.

Normalerweise rümpfen Frankreichs Machteliten gerne die Nase über die Zustände im Nachbarland Italien. Es sei denn, sie spielen ihnen in die Karten. So ließen sich Finanzminister Pierre Moscovici und Industrieminister Arnaud Montebourg die prächtige Gelegenheit nicht entgehen, das italienische Wahlergebnis umgehend als Misstrauensvotum gegen die von Brüssel und Berlin verordnete Sparpolitik zu interpretieren. Weg vom sturen Spardiktat der Deutschen, hin zu Konjunkturprogrammen, so lautete schon die Parole, mit der der Sozialist François Hollande vor bald einem Jahr die Präsidentenwahl gewonnen hat. Jetzt sieht man in Paris eine Gelegenheit, den angeblichen Konflikt zwischen Sparen und Wachstum erneut zu schüren.

Seit Ende letzter Woche gilt als sicher, dass Frankreichs Konjunktur, anders als von der Regierung bis zuletzt behauptet, auch 2013 nicht anspringen wird. Anfang der Woche wurden zudem die neuen Arbeitslosenzahlen bekannt, die seit beinahe zwei Jahren kontinuierlich steigen. 3,2 Millionen Franzosen sind arbeitslos; die Quote wird in diesem Jahr den historischen Höchststand von 1997 überschreiten. Die fehlenden Steuer- und Beitragszahler reißen auch ein weiteres Sieben-Milliarden-Euro-Loch in den Haushalt, und das bei einem Schuldenstand, der schon jetzt mehr als 90 Prozent der Wirtschaftsleistung beträgt. Aber Sparen ist nicht populär, schon gar nicht unter Anhängern von Hollandes Sozialisten. Da wird die Protestwahl der Italiener zum bequemen Argument dafür, dass Sparpolitik in die Sackgasse führe.

"Austerität" heißt in Paris, aber auch in Rom oder Athen, das Schimpfwort für den Sparkurs, den die Nordländer der Euro-Zone von den südlichen Schuldenstaaten fordern. Dass der Widerstand gegen die harte Sanierung der Staatsfinanzen wächst, lässt sich kaum bestreiten. Etliche Regierungen der Euro-Zone sind im Verlauf der Schulden- und Finanzkrise bereits für ihre Sanierungsanstrengungen abgestraft worden. Mario Monti, der an der Spitze eines Kabinetts aus parteilosen Experten Italien immerhin vor einer drohenden Pleite bewahrte, hat das als vorläufig Letzter zu spüren bekommen: Nur jeder zehnte italienische Wähler gab dem Wirtschaftsprofessor seine Stimme. Bei der Wahl gewonnen haben vor allem jene Parteien, die gegen Montis Sanierungspolitik polemisierten.

Dabei hat Monti in Wirklichkeit gar nicht radikal gespart. Er hat vor allem die Steuern erhöht, und dies angesichts einer ohnehin schon erdrückenden Abgabenlast für die italienischen Bürger. Es war vor allem die Einführung einer neuen Steuer auf Immobilienbesitz, die Monti um die Stimmen der Mittelschicht brachte und ihm politisch das Genick brach. Francesco Giavazzi und Alberto Alesona, zwei der renommiertesten italienischen Ökonomen, hatten davor gewarnt. Sie kritisierten die Unausgewogenheit der Politik von Monti, die sich fast ausschließlich auf die Ausweitung der Staatseinnahmen konzentrierte, die Wurzel allen Übels, nämlich die ausufernden Staatsausgeben, dagegen kaum anging.

Steuern erhöhen statt bei den Ausgaben zu kürzen – dieser Weg wird in den meisten Krisenstaaten beschritten. So hatte auch die französische Regierung Einsparungen in Milliardenhöhe angekündigt, davon bisher aber nur einen Bruchteil umgesetzt. Stellenkürzungen im aufgeblähten öffentlichen Dienst, der fast jeden vierten Franzosen beschäftigt, sind nicht populär und würden überdies auch noch besonders stark die Wählerklientel der Sozialisten treffen. Also legte man in Paris den Schwerpunkt der Anstrengungen ebenfalls auf das Drehen an der Steuerschraube. Die Folgen sind katastrophal, jegliches Wachstum wurde abgewürgt. Frankreich droht nun in einen Teufelskreislauf aus Nullwachstum und Rekordverschuldung zu geraten.

Warnendes Beispiel ist Griechenland. Aber auch im ökonomischen und sozialen Brennpunkt der Euro-Zone hat die Regierung bei der Umsetzung der versprochenen Einsparungen bisher nicht wirklich geliefert. Die geplanten Privatisierungen von Staatsunternehmen, die bis 2020 mindestens 25 Milliarden Euro in die Staatskasse spülen sollten, kommen nur im Schneckentempo voran. Noch schlimmer sieht es bei den unverzichtbaren Einsparungen im öffentlichen Sektor aus. Die Regierung von Antonis Samaras hatte sich zur Umsetzung eines Schrumpfungsprogramms verpflichtet, wonach noch in diesem Jahr 25 000 Beschäftigte entlassen werden sollten. Bisher sind aber erst 2000 Mitarbeiter in eine Art Beschäftigungsgesellschaft überführt worden. Die meisten von ihnen haben sich zudem bereits in ihre alten Jobs zurückgeklagt.

Dieses offensichtliche Scheitern der Strukturreformen im öffentlichen Dienst und damit aller substanziellen Sparanstrengungen scheint die griechische Regierung indes nicht übermäßig zu beunruhigen. Seit Beginn der Woche sind die Finanzkontrolleure der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds erneut in Athen, um darüber zu befinden, ob die beiden Tranchen der Finanzhilfe für Griechenland aus dem Rettungspaket von 2,8 Milliarden Euro im März und weiteren sechs Milliarden im April freigegeben werden können. Eigentlich müsste sich Premier Samaras Sorgen machen, aber er scheint eher gewillt, die internationalen Gläubiger zur Lockerung des Spardrucks zu bewegen. Die Chancen, dass Samaras sich damit durchsetzen kann, stehen nicht einmal schlecht – und seit der Italienwahl stehen sie noch einmal besser.

Denn die Debatte über die negativen Auswirkungen der Reformen auf die Wirtschaft der Krisenländer wird längst auch hierzulande geführt. So mahnte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück eine Korrektur des harten Sparkurses an, und sein Parteifreund Martin Schulz, Präsident des Europa-Parlaments, geißelte eine Politik der "einseitigen Kürzungen". Der Sozialist Hollande in Paris wird das gerne hören. Dänemarks Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt vermutlich weniger. Die Sozialdemokratin kündigte am Tag nach der Italienwahl Steuererleichterungen für die Wirtschaft bei gleichzeitiger Kürzung von Sozialleistungen an. Die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Privatwirtschaft, so betonte sie, habe für ihre Regierung "absolute Priorität".

(RP)
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