Muslimbrüder vor Zerreißprobe

Kairo Drei Dinge hat Ägyptens Oppositionsbewegung bereits jetzt erreicht: Präsident Hosni Mubarak wird nicht wieder antreten, die Vererbung der Macht auf seinen Sohn Gamal ist ad acta gelegt, und Ägypten wird in Zukunft eine politisch offenere Gesellschaft sein – egal, wie es jetzt weitergeht.

Teile der Opposition, darunter die Muslimbruderschaft und Vertreter der Bewegung Mohammed El Baradeis, trafen sich gestern erstmals mit Vizepräsident Omar Suleiman. Hinter den Kulissen geht es unausgesprochen schon nicht mehr um die Frage, ob Mubarak abgelöst wird, sondern darum, was nach ihm kommt. Nach einer Presseerklärung haben sich beide Seiten auf einen Fahrplan für eine Übergangszeit nach Mubarak geeinigt. Demnach soll ein Komitee von Rechtsexperten eine Verfassungsänderung erarbeiten, die freie und faire Präsidentschaftswahlen ermöglicht. Es soll eine neue Polizei aufgebaut werden, die sich fortan nicht um den Schutz des Regimes, sondern um den Schutz der Bürger kümmern soll. Außerdem soll der seit Jahrzehnten geltende Notstand aufgehoben werden, sobald die Sicherheitslage das erlaubt.

Der Entwurf spricht nicht von einer Auflösung des Parlaments. Ein Ausschuss soll aber alle Betrugsvorwürfe bei den Parlamentswahlen im vorigen Herbst untersuchen und die Legitimität jedes einzelnen Sitzes überprüfen. Außerdem soll sichergestellt werden, dass die Medien in Zukunft frei und ohne Einschränkungen arbeiten können.

Das Treffen ist unter den Menschen, die auf dem Tahrir-Platz ausharren, allerdings umstritten. Vor allem die säkulare Jugendbewegung spricht davon, die Teilnehmer der Gespräche würden nicht alle Jugendlichen repräsentieren. Heftig diskutiert wird auch die Kehrtwende der Muslimbruderschaft – die hatte es noch vor ein paar Tagen kategorisch abgelehnt, mit Suleiman in einen Dialog zu treten.

Die Muslimbruderschaft hat bereits gewonnen, weil Suleiman mit ihr spricht. Bisher existierte sie nur als halblegale Organisation, deren Mitglieder stets nach Belieben des Regimes ins Gefängnis gesteckt wurden – oder bei manipulierten Wahlen auch Sitze im Parlament erhielten. Der Dialog mit dem Vizepräsidenten kommt einer De-facto-Anerkennung gleich. Dennoch könnte dieser Sieg für die Bruderschaft teuer werden: Sie wird anerkannt von einem Regime, das ein Großteil ihrer Mitglieder nicht anerkennt. Denn gerade die junge Garde der Muslimbrüder, die sich mit der säkularen Opposition jeden Tag auf dem Tahrir-Platz behauptet, fordert nicht nur einen Wechsel an der Spitze des Staates, sondern eine Änderung des Systems. Lässt sich die Führung der Muslimbrüder auf einen Deal mit Suleiman ein, riskiert sie den Bruch mit ihrer jungen Generation und die Spaltung.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort