Karneval 2017 Satire ohne Grenzen

Düsseldorf · Vor allem der Düsseldorfer Karnevalszug hat am Rosenmontag wieder die Frage aufgeworfen, was der Satire erlaubt ist. Wie sexistisch dürfen die Darstellungen sein? Und dürfen Hitler-Vergleiche zum Repertoire der Komik zählen?

Rosenmontag Düsseldorf 2024: Das waren die Mottowagen von Jacques Tilly
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Die Mottowagen beim Rosenmontagszug 2024 in Düsseldorf

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Foto: dpa/Federico Gambarini

Karneval ist immer Wahnsinn. Im Ernst. Der helle Wahnsinn sogar, manchmal auch der nackte Wahnsinn, und zunehmend auf den Umzügen dieser Tage. Doch Hand aufs Herz: Bei Trump - also beim amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika - scheinen sich Darstellungen der Entblößung, Enthemmung und Schamlosigkeit fast anzubieten. So legen diverse sexistische Äußerungen Trumps den Verdacht nahe, dass der mächtigste Mann der Welt gerne auch als mächtigster Mann im Bett gesehen werden möchte (was auch immer diese chauvinistische Kategorie bedeuten mag).

So ist es in diesem Jahr dann auch gekommen. Vor allem auf den Straßen Düsseldorfs feierte Donald Trump gestern seinen ersten Deutschland-Besuch als Präsident - zumeist als kopulierender. Als unwillige Partnerin wurde die Freiheitsstatue auserkoren, die sich in einer weiteren Szene als durchaus widerständig erweist. Wie die alttestamentarische Judith den assyrischen Feldherrn Holofernes einst enthauptete, so thronte jetzt im rheinischen Karneval die Freiheitsgöttin ähnlich blutrünstig über den kopflosen Präsidenten. So weit, so spaßig, vielleicht auch geschmacklos - mag sein, würdelos.

Der 4275. Verweis auf Kurt Tucholsky

Wagenbauer Jacques Tilly zeigte in Düsseldorf Donald Trump neben Adolf Hitler, als "Star Wars"-Bösewicht Darth Vader und als Vergewaltiger der Freiheit.

Wagenbauer Jacques Tilly zeigte in Düsseldorf Donald Trump neben Adolf Hitler, als "Star Wars"-Bösewicht Darth Vader und als Vergewaltiger der Freiheit.

Foto: Endermann/AP/dpa

Die Frage, was Satire eigentlich darf, ist so wenig originell wie der 4275. Verweis auf Kurt Tucholsky, der quasi das Manifest für die bedingungslose satirische Freiheit schrieb. Der Text aus dem Berliner Tageblatt ist von 1919. Seitdem ist viel Zeit vergangen und immer wieder auch über Satire gestritten worden. Zumal sie sich nicht grundsätzlich auf Kunst und Kunstfreiheit berufen kann. Da der Staat sehr weise die Finger davon lässt, zu definieren, was Kunst ist, wird von Fall zu Fall neu verhandelt. Dabei kommen dann Werte von Verfassungsrang ins Spiel, sehr oft sind das die Persönlichkeitsrechte. Denn bei allen stolzen Schwüren auf die Freiheit wird der Satire vor allem dann alles erlaubt, solange man selbst nicht zu den Betroffenen zählt. Das Dumme ist: Je heftiger der Streit geführt wird, desto prominenter wird die satirische Attacke. So geschehen bei Papst Benedikt XVI., der zunächst per einstweiliger Verfügung dem Satiremagazin "Titanic" untersagen ließ, ihn mit unwürdig befleckter Soutane auf dem Titelblatt darzustellen; dann aber den Antrag wieder zurückzog.

Selbst der Disput über die Satire liegt im Wesen der Satire. Sie beginnt erst im Grenzbereich zu wirken, bisweilen auch jenseits der Grenze. Das erfordert Verstand und Können, schließlich muss man wissen oder ahnen, wo die moralischen Grenzverläufe der Gesellschaft liegen. Der Düsseldorfer Wagenbauer Jacques Tilly ist auch deshalb so bekannt, weil er ein überaus geschickter Grenzgänger ist. Das muss er sein, da Karneval zwar Wahnsinn ist, aber eben doch ein kalkulierter und für ein paar Tage im Jahr vorschriftsmäßig inszenierter. Dieser Wahnsinn hat also Methode, und wer da längerfristig für Aufmerksamkeit sorgen will, muss Jahr für Jahr ein wenig mehr an der Schraube närrischer Eskalierung drehen. Kopulationsszenen sind da ein stets willkommenes Sujet, begleitet von Entblößungen vielfacher Art. Das größte und vielleicht auch reizvollste Minenfeld der Empörung aber bleiben Hitlervergleiche. Und Jacques Tilly ist in diesem Jahr nicht drumherum gekommen. Eine Riege der politischen Despoten hat er geschaffen, zu der neben Trump, die Französin Le Pen, der Niederländer Wilders und auch Adolf Hitler aufgereiht sind. Vor ihrer Brust: "Blond ist das neue Braun".

Harmlos ist der Karneval nie

Als Vernunft-begabter Mensch kann man so etwas nicht glauben; doch wie gesagt: der Sinn karnevalistischen Treibens liegt im Wahn, der jede Zensur und jede Obrigkeit verlacht. Und nur als Wahn wird er auch geduldet. Hitler-Vergleiche aber sind nicht satirisch, sondern politisch. Wer den größten Massenmörder in der Geschichte der Menschheit vergleichbar werden lässt, relativiert ihn und seine Taten. Hitler wird eingeordnet in einen Kontext und damit Bestandteil einer historischen Kontinuität. Die Hemmschwelle wird niedrig, Hitler auch einzuordnen. Der Nazi-Diktator aber ist singulär, bleibt unvergleichlich. Wer ihn in eine Reihe mit Rechtspopulisten stellt, verharmlost Hitlers Taten und verhöhnt viele Millionen Opfer.

So wahnsinnig sich der Karneval auch gibt, harmlos ist er nie. Die Versuchung, mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Shoa Vergleiche mit Hitler anzustellen, ist offenkundig groß. Noch regen wir uns darüber auf. Noch fragen wir nach den Grenzen von Satire. Doch kennen wir alle den Abnutzungseffekt; wie auch den Einfallsreichtum, den Nazi-Herrscher in immer wieder vermeintlich ulkigen Zusammenhängen auferstehen zu lassen. Hitler zum Gespött der Jecken zu machen, ist kein Zeichen von Aufklärung und erst recht keins von Mut. Es ist in freiheitlichen Gesellschaften ziemlich einfach, sich über Gott und die Welt zu belustigen. Es bleibt indes eine Haltung der Verantwortung, bestimmte Grenzen zu akzeptieren. Einem Karneval, der seine Aufmerksamkeit mit diesen Mitteln erzielen muss, mangelt es an Überzeugung. Die Grenzüberschreitung ist dann ein Ausdruck von Schwäche.

(los)
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