Analyse Moraldebatte um die "Pille danach"

Berlin · Der Fall einer vergewaltigten Frau, die von zwei katholischen Kliniken abgewiesen wurde, hat in Kirche und Gesellschaft eine Debatte ausgelöst. Die Ärzte stecken im Dilemma zwischen Morallehre und dem ärztlichen Eid.

Innerhalb der katholischen Kirche hat ein Nachdenken darüber eingesetzt, ob die Morallehre, wonach die "Pille danach" auch im Fall von Vergewaltigung nicht verwendet werden darf, durchzuhalten ist. Der Mainzer Domkapitular Hans-Jürgen Eberhardt hatte im ZDF-"heute journal" angeregt, darüber eine differenzierte Debatte zu führen. Unter dem Begriff "Pille danach" würden Präparate mit zwei unterschiedlichen Wirkungen zusammengefasst: Pillen, die eine Empfängnis verhindern, und Pillen, die abtreibend wirkten. Andere katholische Theologen äußerten sich ähnlich.

Die Debatte um das Notfall-Verhütungsmittel zeigt auch die erhebliche Diskrepanz zwischen der katholischen Moral- und Sexuallehre und der Lebenswirklichkeit einer großen Mehrheit von Gläubigen. Auf Unverständnis stößt bei vielen Katholiken, dass einer Frau, die vergewaltigt wurde, ein Medikament verweigert werden soll, das nach dem Geschlechtsverkehr verhütend wirkt. Die "Pille danach", die wenige Stunden nach dem Geschlechtsverkehr als Notfallverhütungsmittel eingesetzt werden kann, ist im medizinischen Sinne kein Abtreibungsmittel.

Anlass der Debatte ist die Kritik an zwei katholischen Krankenhäusern, die in Köln eine Frau abgewiesen hatten, die offenbar vergewaltigt worden war und die auf mögliche Spuren des Täters untersucht werden musste. Die Kliniken hatten befürchtet, der Frau auch die "Pille danach" verordnen zu müssen und damit gegen die eigenen Richtlinien zu verstoßen. Der Fall sorgte deutschlandweit für Empörung. Zumal bereits eine Ärztin der Betroffenen das Rezept über die "Pille danach" ausgehändigt hatte.

Der Kölner Kardinal Joachim Meisner entschuldigte sich öffentlich: "Dieser Vorgang beschämt uns zutiefst, denn er widerspricht unserem christlichen Auftrag und Selbstverständnis." Er verdeutlichte, die Kirche müsse Vergewaltigungsopfern jede notwendige medizinische, seelsorgliche und menschliche Hilfe zukommen lassen. "Ausgenommen sind nach unserem Selbstverständnis allerdings alle Maßnahmen, welche die Tötung eines möglicherweise schon gezeugten Kindes bedeuten."

Genau an diesem Punkt beginnt die Debatte der katholischen Kirche — Tötung oder Verhütung? Pharmakologisch und hormonell verhindert oder verschiebt die "Pille danach" den Eisprung so, dass keine Befruchtung stattfinden kann. Ist die Befruchtung bereits erfolgt, unterbindet das Medikament die Einnistung in die Gebärmutter. Wenn die befruchtete Eizelle bereits eingenistet ist, wirkt die "Pille danach" nicht. Das heißt: Die "Pille danach" wirkt nicht abtreibend. Nach der Einnahme kommt es meist zum gewohnten Zeitpunkt zu einer Monatsblutung, eventuell etwas stärker als sonst. Manchmal tritt auch schon vorher eine Zwischenblutung auf. Aus medizinischer Sicht kann man also nicht von einer Abtreibung sprechen. Im Gegensatz zur "Pille danach" gibt es auch eine sogenannte Abtreibungspille, bei der ein Hormon wirksam wird, das den bereits eingenisteten Embryo tötet.

Der katholische Moraltheologe Antonio Autiero bewertet dies anders als die Ärzte. Er sieht auch in der "Pille danach" ein Mittel zur Abtreibung. "Mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle entstehen das Leben und die menschliche Würde", sagte er der Deutschen Welle. Deshalb sei es "eine Form der Abtreibung, wenn man die befruchtete Eizelle daran hindert, sich einzunisten". Barmherzigkeit gegenüber einer vergewaltigten Frau, die verhüten möchte, dass sie ein Kind ihres Peinigers austragen muss, sieht die reine Lehre nicht vor. "Abtreibung und Empfängnisverhütung ist in sich selbst verwerflich und daher niemals und in keiner Situation ethisch zu rechtfertigen", erklärte Autiero.

Zwischen dieser Theorie und der praktischen Not von Vergewaltigungsopfern stehen die Ärzte in katholischen Kliniken. In der Praxis wird der Konflikt so gelöst, dass die Kliniken die Opfer auf die Existenz der "Pille danach" verweisen, sie darüber aber nicht beraten und diese auch nicht verschreiben können. Ein Rezept allerdings können die Patientinnen üblicherweise in den Notfallpraxen auf dem Gelände katholischer Kliniken erhalten. Diese Praxen sollen auch erhalten bleiben. Im Alltag kann dieses Konstrukt die Ärzte in Not bringen. Die Kliniken, die die junge Frau abgewiesen hatten, waren offenbar zuvor von einer katholischen Fundamentalistin bei der Kirchenleitung angeschwärzt worden. Sie hatte sich unter dem Vorwand, vergewaltigt worden zu sein, in den Notfallpraxen die "Pille danach" verschreiben lassen.

Auch politisch gibt es Streit um das Notfall-Verhütungsmittel. SPD, Grüne und Linke fordern in verschiedenen Anträgen, die "Pille danach" ohne Rezept in den Apotheken abzugeben. Die Pille müsse "allerspätestens" 72 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr eingenommen werden, heißt es in einem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion. Die Union ist gegen eine Abgabe ohne ärztliche Beratung. "Über die Frage, ob ein Arzneimittel rezeptpflichtig ist oder nicht, entscheidet nicht die Politik, sondern Experten nach fachlichen Kriterien", sagte CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn. "Das sind nun mal keine Smarties, sondern das ist ein Arzneimittel mit Wirkungen und Nebenwirkungen."

Teile der Sozialdemokraten dringen seit Jahren darauf, die "Pille danach" ohne vorherige ärztliche Beratung in der Apotheke verkäuflich zu machen. Bislang unternahm die SPD dazu keinen Vorstoß, weil sie keine Chancen im Bundesrat sah. Diese Lage hat sich nun geändert. Eine Reihe von Ländern, auch Nordrhein-Westfalen, unterstützen die Pläne der Bundes-SPD. Die Sozialdemokraten verweisen darauf, dass Frauen in 79 Staaten weltweit das Notfall-Verhütungsmittel rezeptfrei erhalten.

(qua)
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