Berlin Mit kühlen Grüßen

Berlin · Die Kanzlerin lässt den CSU-Chef freundlich, aber bestimmt per Post abblitzen. Der bekräftigt die Drohung mit einer Verfassungsklage.

Schon die Anrede ist eine Retourkutsche. "Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Horst", steht über dem dreiseitigen Brief der Bundeskanzlerin, der am Montag in der bayerischen Staatskanzlei eingegangen ist. Angela Merkel beantwortet damit in aller Freundlichkeit ein Schreiben ihres Koalitionspartners, des CSU-Chefs Horst Seehofer. Der hatte Ende Januar seinerseits ein sechsseitiges Schreiben an die Kanzlerin publik gemacht, das er mit den Worten "Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, liebe Angela" begonnen hatte.

Seehofer hatte der Kanzlerin vor drei Monaten nichts weniger als eine verfassungswidrige Flüchtlingspolitik vorgeworfen. Munitioniert mit einem Gutachten des bekannten Verfassungsrechtlers Udo di Fabio hatte Seehofer Merkel sogar mit einer Verfassungsklage des Freistaates gedroht, wenn sie nicht endlich bereit sei, wirksamere Maßnahmen zur Begrenzung des Flüchtlingsstroms einzuleiten.

Merkel hat dieses Schreiben wochenlang unkommentiert gelassen, auch die Klageandrohung ließ sie an sich abtropfen. Doch nun hat sie Seehofer doch noch in aller Ruhe geantwortet - und alle seine Vorwürfe schriftlich zurückgewiesen. Den bayerischen Löwen reizt so etwas. Es war daher kaum überraschend, dass die bayerische Staatskanzlei nach einer Kabinettssitzung gestern mitteilte, Bayern halte seine Klageandrohung gegen den Bund selbstverständlich aufrecht.

Weder hat der Bund aus Merkels Sicht seine Pflichten zum Schutz der deutschen Grenzen missachtet noch hat der Bund nichts unternommen, um die Flüchtlingszahlen zu reduzieren, wie Seehofer unterstellt hatte. In seinem Schreiben vom 26. Januar hatte der CSU-Vorsitzende die Kanzlerin aufgefordert, schnellstmöglich die deutsche Grenze zu Österreich zu kontrollieren und aus sicheren Nachbarländern einreisende Migranten zurückzuschicken. Das hätte faktisch die Sperrung der deutsch-österreichischen Grenze bedeutet - was Merkel verhindern wollte, damit die Lage in Österreich und den Ländern des westlichen Balkans nicht noch mehr eskalierte.

Seehofers Schreiben war ein Affront, auf den die Kanzlerin kaum anders als reserviert reagieren konnte. Einen derart gravierenden Vorwurf, noch dazu vom Chef der Schwesterpartei, konnte Merkel nicht hinnehmen.

Die Antwort aus Berlin fällt dementsprechend kühl aus: "Im Ergebnis sieht die Bundesregierung weder Raum für den Vorwurf, der Bund habe im Zusammenhang mit seiner Flüchtlingspolitik rechtliche Bindungen nach dem Unionsrecht oder nach nationalem Recht missachtet, noch für den Vorwurf, der Bund habe keine Schritte zur Reduzierung der Zahl der nach Deutschland kommenden Asylsuchenden unternommen", heißt es in Merkels Schreiben.

Nicht nur aus Sicht der Strategen im Kanzleramt hatte Seehofer in den vergangenen Monaten einen gehörigen Anteil daran, dass Merkel auf der Skala der beliebtesten Politiker, die sie jahrelang angeführt hat, auf einen mittleren Platz abrutschte und die Union in Umfragen Geländeverluste verbucht. Ein monatelanger Streit zwischen Schwesterparteien und Koalitionspartnern - das wirkt sich immer negativ auf die Beliebtheit aus.

In der Union hoffen sie nun, dass Merkel und Seehofer ihre Feindseligkeiten im Rest der Legislaturperiode endlich beenden. "Es ist an der Zeit, dass CDU und CSU endlich ihren Streit über die Flüchtlingspolitik beenden. Streit zwischen Schwesterparteien ist nie hilfreich. CDU und CSU müssen sich unbedingt außergerichtlich einigen. Dadurch werden Parteien am rechten Rand nur stärker, siehe Österreich", sagte Unionsfraktionsvize Michael Fuchs. "Meinem Eindruck nach forciert Bayern eine Klage nicht mehr. Es geht auch erkennbar weniger um eine rechtliche Frage als um eine des politischen Ermessens", erklärte der Chef des Bundestags-Innenausschusses, Ansgar Heveling.

Die Flüchtlingszahlen sind seit Ende Januar nochmals deutlich zurückgegangen - das ist zwar nicht unbedingt Merkels alleiniges Verdienst, sondern vor allem der Schließung der Balkanroute geschuldet. Allerdings gehen mittlerweile auch die Migrantenzahlen aus der Türkei zurück, weil der von Merkel ausgehandelte EU-Türkei-Vertrag Wirkung entfaltet. In den ersten drei Aprilwochen kamen nur noch 4200 Menschen nach Bayern, so viele wie auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise Tag für Tag.

Die Flüchtlingszahlen könnten zwar demnächst auch wieder stärker steigen. Doch im Kanzleramt glaubt man nicht mehr an eine zweite große Flüchtlingswelle - weil die EU die Flüchtlinge an den Außengrenzen aufhalten soll, lange bevor sie die deutsche Grenze erreichen. Vieles spricht also dafür, dass aus der Verfassungsklage Bayerns nichts mehr werden wird.

(mar / may-)
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