Analyse Mit 16 an die Wahlurne

Düsseldorf · Bei den Kommunalwahlen dürfen Jugendliche ab 16 zur Wahl gehen, bei den Landtagswahlen in NRW bleibt ihnen dieses Recht bisher verwehrt. SPD, Grüne und Piraten fordern, das zu ändern.

Analyse: Mit 16 an die Wahlurne
Foto: Ferl

Flüchtlingsstrom, Terroranschläge, Schulpolitik - Themen, über die sich auch Jugendliche Gedanken machen, die sie im Freundeskreis diskutieren und die sie in ihrem Alltag direkt betreffen. "Natürlich sind Jugendliche an Politik interessiert", sagt die 15 Jahre alte Margarita Küster aus Düsseldorf. Sie ist Mitglied der Jungen Union, und sie würde sich wünschen, schon bei der nächsten Landtagswahl in NRW wählen zu dürfen. "Nur mit Stimmrecht kann man mitbestimmen", sagt sie. Monika Czyz (16) geht noch einen Schritt weiter: "Das Stimmrecht bedeutet für mich Freiheit, umgekehrt ist ein Mensch ohne Stimmrecht nicht frei." In NRW können 16- und 17-Jährige bisher nur auf kommunaler Ebene wählen, bei Landtags- und Bundestagswahlen sind sie außen vor. Das soll sich, wenn es nach SPD, Grünen und Piraten im NRW-Landtag geht, zumindest auf Landesebene ändern. Aber sind 16- und 17-Jährige schon in der Lage, politische Entscheidungen zu treffen? Eine Kommission wird heute zu diesem Thema tagen.

Ulrich Czygan, Vorsitzender der Landeselternschaft der Gymnasien, meint: Ja. "Die Demokratie darf Jugendliche nicht ausschließen. Warum sollten Jugendliche dümmer sein als Erwachsene? Es gibt so viele Erwachsene, die politische Analphabeten sind", sagt er. Ausgrenzung könne zu Radikalisierung führen. "Jugendliche haben ganz andere Anliegen als Erwachsene, die ohne ihr Stimmrecht nicht berücksichtigt werden", sagt Czygan. Wenn die Politik die Jugendlichen für die Zukunft gewinnen wolle, nämlich dafür, dass sie in großer Zahl zur Wahl gehen, dann solle das Stimmrecht für Landtagswahlen mit 16 eingeführt werden. Gerade auf Landesebene werde entschieden, was das direkte Umfeld der jungen Wähler betreffe, zum Beispiel Schule oder Sport. "Wir müssen junge Menschen in politische Entscheidungsprozesse einbinden, damit sie sich für Politik interessieren", bestätigt Peter Silbernagel vom Philologenverband. Trotzdem ist er hinsichtlich der Herabsetzung des Wahlalters zurückhaltend. Mit dem Stimmrecht werde den Jugendlichen viel Verantwortung übertragen. Silbernagel glaubt, dass 18-Jährige komplexere Zusammenhänge eher erfassen können. "Es muss viel Aufklärungsarbeit betrieben werden, damit die jungen Wähler werten und differenzieren können, sie nicht einem Schlagwort hinterherlaufen, ohne zu hinterfragen", sagt er. Auch 87 Prozent der über 60-Jährigen trauen den Jugendlichen nicht und möchten es laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung beim jetzigen Mindestwahlalter belassen.

Schülerin Monika Czyz dagegen ist überzeugt, dass Jugendliche sehr wohl in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen. "Und wer sich nicht in der Lage sieht, wird auch nicht wählen gehen", sagt sie. Die Bertelsmann-Studie dagegen belegt, dass das eigene Wahlrecht politisches Interesse erzeugt. Und politisches Interesse führe zu besserer Wahlbeteiligung. "Wählen ab 16" dürfe dabei aber nicht als Selbstläufer für eine höhere Wahlbeteiligung verstanden werden. Nötig sei eine aktive Begleitung und Aktivierung der Erstwähler in den Medien und in ihrem sozialen Umfeld. Auch "jugendfreundliche", also leicht verständliche Parteiprogramme könnten helfen, findet Schüler Jonathan Steffens (16).

Nicht zuletzt sind die Schulen in der Pflicht, Kinder und Jugendliche auf ein solches Recht vorzubereiten. Die Landesregierung messe der politischen Bildung eine hohe Bedeutung bei, heißt es aus dem Schulministerium. "In der Schule ist Politik ein viel zu seltenes Thema", sagt dagegen der 17 Jahre alte Paul Lobs. "Politische Themen werden meist nur zufällig angesprochen und nicht wirklich ausdiskutiert. Da sehe ich Ausbaubedarf." Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) selbst befürwortet die Absenkung des Wahlalters: "In der alternden Gesellschaft braucht die junge Generation eine starke Stimme. "

Wichtig bei der Entscheidungsfindung sei, dass diese im Austausch mit Wahl- und Jugendforschern stattfinde und die Parteien die Herabsetzung des Wahlalters nicht nur durchsetzen wollen, um auf Stimmenfang zu gehen, meint Peter Silbernagel. Kritiker werfen den Grünen vor, genau das zu beabsichtigen. Profitieren würden neben den Grünen auch rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien, "Letzteres vor allem bei den jungen Männern", sagt Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen. Aber von dieser Regel gebe es auch immer wieder Abweichungen. Das habe die Landtagswahl in Baden-Württemberg gezeigt, bei der die Grünen in allen Altersklassen stark abgeschnitten haben. Aktuell handele es sich bei den 16- und 17-Jährigen um zwei zahlenmäßig relativ schwache Jahrgänge, so Jung: "Der Gesamteffekt auf ein Wahlergebnis hält sich also in Grenzen." Er vermutet, dass die Hinzunahme der 16- und 17-Jährigen tendenziell zu einer prozentualen Verringerung der Wahlbeteiligung führen würde. Britta Rehder, Professorin für Politikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, spricht von einem Lebens-Wahlzyklus, nach dem die Wahlbeteiligung von Erstwählern zunächst besonders hoch ist, dann stark abnimmt und im Laufe des Lebens wieder zunimmt. "Das würde sich mit der Herabsetzung des Wahlalters vermutlich nach vorne verschieben", so Rehder.

Vielleicht passt diese Verschiebung zur Lebenswirklichkeit der Jugendlichen von heute, denn die sind nicht unbedingt reifer als jene von vor 30 Jahren. Aber sie werden schneller in das Erwachsensein gedrängt. Manche müssen sich durch die verkürzte Gymnasialzeit mit 17 für eine berufliche Laufbahn entscheiden, ziehen für ein Studium in eine andere Stadt. Warum sollten 16-Jährige also nicht auch in der Politik wie Erwachsene behandelt werden?

(RP)
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