Istanbul Missbrauch in türkischem Lager

Istanbul · Noch im April hatte die Kanzlerin die Flüchtlinge dort besucht.

Die Türkei hat Kanzlerin Angela Merkel offenbar Fälle sexuellen Missbrauchs in einem Flüchtlingslager verschwiegen, das sie Ende April besucht hatte. Im Auffanglager Nizip an der syrischen Grenze soll ein Lagermitarbeiter bis zu 30 syrische Jungen sexuell missbraucht haben. Laut Presseberichten wusste die Regierung schon seit Monaten von dem Fall - auch zur Zeit des Besuches der Bundeskanzlerin im April, bei dem das Lager als Vorzeige-Institution galt.

Als Betreiberin des Lagers bestätigte die türkische Katastrophenschutzbehörde Afad jetzt den Skandal und erklärte, sie verfolge den Fall aufmerksam - doch diese Stellungnahme kam erst, nachdem ein Bericht der regierungskritischen Zeitung "BirGün" den mutmaßlichen Kindesmissbrauch öffentlich gemacht hatte. Demnach soll ein 29-jähriger Reinigungsarbeiter im vergangenen Sommer immer wieder syrische Jungen im Alter zwischen acht und zwölf Jahren in Ecken des Lagers gelockt haben, die von den Überwachungskameras nicht erfasst wurden. Nach einer Beschwerde der Familie eines der Jungen wurde er festgenommen. Das Familienministerium soll im September informiert worden sein. Erst nach dem "BirGün"-Bericht habe das Ministerium die Teilnahme am Strafprozess gegen den mutmaßlichen Täter beantragt. An den ersten drei Verhandlungstagen des Verfahrens nahm kein Ministeriumsvertreter teil, obwohl das Gericht darum gebeten hatte.

Mit der Aufnahme von mehr als 2,7 Millionen Syrern und dem Bau von als vorbildlich gelobten Flüchtlingslagern hatte sich die Türkei in den vergangenen Jahren international viel Respekt verschafft. Bei ihrem Besuch im Lager von Nizip im April sprach Merkel mit Flüchtlingskindern, während EU-Ratspräsident Donald Tusk betonte, die Türkei sei "das beste Beispiel in der Welt dafür, wie wir mit Flüchtlingen umgehen sollten".

Türkische Anwälte sehen eine Mitschuld der Behörden, weil sie die Kinder nicht ausreichend geschützt haben. Drei mutmaßliche Missbrauchsopfer sollen spurlos verschwunden sein - Alkut vermutet, dass die Jungen aus dem bewachten Lager entführt wurden, möglicherweise, um ihre Aussagen vor Gericht zu verhindern. Die Oppositionspartei CHP kündigte die Entsendung einer Parlamentarier-Delegation in das Lager an.

Türkische Behörden kritisieren stattdessen die Medien für ihre Berichterstattung. Dahinter steckten "keine guten Absichten". Schließlich sei der mutmaßliche Täter vor Gericht gestellt worden, wo ihm 289 Jahre Haft drohen. "Von Anfang an" würden die Opfer zudem psychologisch betreut.

(RP)
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