Istanbul Ministerpräsident Erdogan droht mit neuer Verhaftungswelle

Istanbul · Mit seinem harten Kurs bringt der Premier inzwischen auch Mitglieder seines Kabinetts gegen sich auf.

Nach einer Festnahmewelle bei der türkischen Polizei hat Premier Recep Tayyip Erdogan weitere Schritte gegen mutmaßliche Regierungsgegner und Anhänger des Predigers Fethullah Gülen angekündigt. Die Verhaftungen seien "erst der Anfang", sagte Erdogan. Beobachter erwarten, dass in den kommenden Wochen auch Unternehmer, Akademiker und Journalisten aus der Gülen-Bewegung ins Visier von Erdogan-treuen Richtern und Staatsanwälten geraten werden. Selbst im Regierungslager ist das Vorgehen umstritten.

Den mehreren Dutzend festgenommenen Ex-Polizeioffizieren wird vorgeworfen, unter dem Vorwand von Ermittlungen gegen eine fiktive Terrororganisation namens "Tawhid-Salam" die Telefone von Erdogan, Geheimdienstchef Hakan Fidan und 2000 Politikern, Bürokraten und Journalisten abgehört zu haben. Doch kaum jemand glaubt, dass dies der wahre Grund ist: Die Beschuldigten waren im vergangenen Dezember an der Aufdeckung der Korruptionsvorwürfe gegen Erdogans Regierung beteiligt.

Kritiker befürchten eine Gleichschaltung von wichtigen Teilen der türkischen Gesellschaft. Die regierungsfeindliche Presse schimpft, Erdogan wolle ein autoritäres Regime schaffen. Zudem wolle er vertuschen, dass die vom Iran gesteuerte Gruppe "Tawhid-Salam" eben doch existiere und dass Regierungsmitglieder für den Iran gearbeitet hätten. Vor allem Geheimdienstchef Fidan werden enge Kontakte zum Mullah-Regime nachgesagt.

Die Ansage des Premiers, auf die Aktion gegen die Polizei würden weitere Operationen folgen, wird von Regierungskritikern als Hinweis darauf gewertet, dass es sich nicht um ein eigenständiges Vorgehen der Justiz handelt, sondern um eine Hexenjagd auf Befehl der Regierung. Gülen, der in der Türkei mehrere Millionen Anhänger hat, unterstützte Erdogan lange Zeit, überwarf sich aber im vergangenen Jahr mit dem Premier. Erdogan wertete die Korruptionsermittlungen gegen seine Regierung im Dezember als Putschversuch der Gülen-Bewegung. Gülen weist die Vorwürfe zurück.

In der türkischen Gesellschaft werden die Gräben zwischen Erdogans Gegnern und Anhängern mit den Festnahmen noch tiefer. Die Polarisierung geht selbst am Kabinett nicht spurlos vorüber. So soll Vizepremier Ali Babacan alle Ermittlungen gegen angebliche Gülen-Gefolgsleute in seinem eigenen Zuständigkeitsbereich verhindert und seinen Ausstieg aus der Regierung angedeutet haben.

Babacan, ein Garant für das Vertrauen ausländischer Investoren in die türkische Wirtschaft, kritisiert auch öffentlich Erdogans Linie. Er erklärte, die Türkei müsse ein Rechtsstaat werden. Babacan rede wie ein Oppositionspolitiker, kommentierte der Kolumnist Ugur Gürses. Nach der Präsidentenwahl am 10. August wird Babacans Rücktritt erwartet.

(sei)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort