Milliarden-Projekt steht vor dem Aus Könnte Putin Deutschland wegen Nord Stream 2 verklagen?

Berlin · Rund zehn Milliarden Euro hat der Bau von Nord Stream 2 gekostet. Wird die Pipeline endgültig gestoppt, guckt der russische Staatskonzern Gazprom in die Röhre. Könnte Putin Deutschland verklagen?

 In Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) kommt die umstrittene Gas-Pipeline Nord Stream 2 an.

In Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) kommt die umstrittene Gas-Pipeline Nord Stream 2 an.

Foto: dpa/Jens Büttner

Wenn der durch und durch hanseatisch geprägte Kanzler erklärt, er würde an Stelle eines Investors nicht darauf wetten, dass die als Reaktion auf Russlands Einmarsch in der Ostukraine vorläufig gestoppte Gaspipeline Nord Stream 2 jemals ans Netz geht, dann war das eine harte Gewinnwarnung, die Olaf Scholz in der ARD aussprach. Nach Ansicht von Wirtschaftsminister Robert Habeck wäre es klüger gewesen, Nord Stream 2 gar nicht erst zu bauen. Europa brauche eine vielfältige Energielandschaft und nicht „einen Klumpen Risiko durch die Ostsee“.

Das sieht der vom Kreml gesteuerte russische Gasriese Gazprom als Betreiberin sicher anders. Im Sommer soll Gerhard Schröder in den Gazprom-Aufsichtsrat einziehen. Rund 10 Milliarden Euro hat die zweite Röhre neben der bestehenden Nord-Stream-1-Pipeline gekostet. An Nord Stream 2 sind fünf westliche Firmen als Finanzinvestoren beteiligt, Engie, OMV, Shell, Uniper und Wintershall Dea. Die Jahreskapazität soll sich auf 110 Milliarden Kubikmeter Gas verdoppeln. Seit Herbst ist Nord Stream 2 fertig, die Leitungen sind technisch gefüllt, doch es strömt kein Gas von Russland nach Mecklenburg-Vorpommern. Und das wird vielleicht für immer so bleiben. Bei einem endgültigen Aus könnte Gazprom im schlimmsten Fall sogar ein kostspieliger Rückbau drohen, denn die Röhren wird man nicht einfach auf dem Grund der Ostsee verrosten lassen können (oder aber man wartet auf Tauwetter mit Putin). Kann Gazprom die Bundesregierung auf Schadenersatz verklagen - und wie stehen die Chancen? Folgende Szenarien sind denkbar:  

Nord Stream 2 kommt in kein Sanktionspaket, erhält keine Lizenz:

Die Pipeline zählt nicht zu den Sanktionen, die von der EU in einem ersten Schritt gegen russische Einzelpersonen, Firmen und Organisationen verhängt worden sind. Rein rechtlich haben Scholz und Habeck nun das nationale Zertifizierungsverfahren lediglich wieder auf Null gestellt. Damit gewinnt die Regierung Zeit. In den nächsten drei Monaten wird ein neuer Bericht zur Versorgungssicherheit erstellt, der bei der beantragten Betriebsgenehmigung eine wichtige Rolle spielt. Habeck hat schon angedeutet, dass das Szenario negativ ausfallen könnte, also Russland/Gazprom als Lieferant ein strategisches Risiko darstellt. Dazu kommt die Prüfung weiterer Wettbewerbsauflagen. Verweigert am Ende die zuständige Bundesnetzagentur die Genehmigung, guckt Gazprom in die Röhre. Das Konsortium könnte klagen und die Entscheidung anfechten. Schadenersatz? Dass Auslandsprojekte platzen, gehört zum unternehmerischen Risiko, erklärt die Regierung. Habeck hält Klagen für nicht aussichtsreich: Die Netzagentur werde im Zertifizierungsverfahren entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Zulassung gegeben seien. „Und wenn das nicht der Fall ist, dann sind auch keine Entschädigungen fällig“, sagte der Ex-Grünen-Chef im Januar.

Nord Stream 2 wird in EU-Sanktionen aufgenommen:

Dieser Fall wäre denkbar bei einer weiteren Eskalation durch Russland, etwa bei einem Angriff auf das gesamte Nachbarland. Die Bundesregeirung wäre damit fein raus. Brüssel hat die alleinige Hoheit über die EU-Handelspolitik, dazu zählen Sanktionen. Sinn und Zweck dieser ist, Russland nach dem Völkerrechtsbruch wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Das passierte schon 2014 nach der russischen Annektion der Krim. Entschädigungszahlungen wurden nie fällig. Jedoch sind Einzelklagen gegen Embargo-Maßnahmen beim EU-Gericht möglich. So klagte nach Angaben des Internetportals „Legal Tribune Online“ 2014 ein früherer Judo-Trainer von Putin gegen Sanktionen, teilweise mit Erfolg.   

Investorenschutz: In zahlreichen internationalen Handelsabkommen sind Schiedsgerichte verankert, vor denen Konzerne klagen können, falls sie sich von Regierungen willkürlich oder politisch motiviert drangsaliert sehen. In der Europäischen Energiecharta ist ein Schutzmechanismus vorgesehen, Moskau hat diese aber nicht ratifiziert. Auch wurde nach dem Fall der Mauer zwischen Berlin und Moskau ein Investitionsschutzabkommen geschlossen. Nach Ansicht der Regierung fällt Nord Stream 2 nicht darunter. Das Unternehmen hat seinen Sitz im schweizerischen Zug.

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