Interview "Moralisierender Antiamerikanismus schadet nur"

Washington · Der gebürtige Neusser Michael Werz lehrt Politikwissenschaften an der Georgetown-Universität und arbeitet als einziger Deutscher im Thinktank "Center for American Progress" in Washington.

Was bedeutet der Spionagefall für das transatlantische Verhältnis?

Werz Der Spionagefall ist eine zusätzliche Belastung. Im Weißen Haus ist die Anspannung entsprechend hoch. Man muss ja auch bedenken, dass Deutschland nicht das einzige Land ist, in dem der Obama-Administration solche unangenehmen Fragen gestellt werden.

Befreundete Länder spionieren sich nicht aus. Gilt diese Regel nicht mehr, oder sind wir nicht befreundet?

Werz Deutschland ist nach wie vor wichtigster Partner der USA in Europa. Darum sind Unverständnis und Sorge unter US-Diplomaten deutlich zu spüren. Jeder weiß, dass die USA Deutschland unter keinen Umständen verlieren können und dass die fortgesetzten Spionageskandale sehr hohe politische Kosten haben.

Bundespräsident Gauck sagt: Jetzt reicht's. Ist die Empörung in Deutschland übertrieben?

werz Kritik ist legitim und notwendig, um die transatlantischen Beziehungen auf eine neue Grundlage zu stellen. Moralisierender Antiamerikanismus schadet aber längerfristig deutschen Interessen. Seine etwas populistische Formulierung hätte der Bundespräsident sich auch sparen können.

Welche Reaktion der USA erwarten Sie?

Werz Im besten Falle werden diejenigen an Einfluss gewinnen, die warnen, dass die USA nicht als paranoid wahrgenommen werden dürfen und dass der US-Führungsanspruch geschwächt wird, wenn die Geheimdienste so tun, als seien wir hier in Amerika von einer Welt voller Feinde umstellt. Allerdings wird es viel mehr Zeit brauchen, bis sich diese Einsichten durchsetzen, als vielen recht ist.

MICHAEL BRÖCKER UND STEFAN WEIGEL STELLTEN DIE FRAGEN.

(RP)
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