Kampf an mehreren Fronten Merkels schwierige Woche

Berlin · Die Kanzlerin kämpft in diesen historischen Tagen an vielen Fronten. Frankreich macht Druck, das EU-Parlament protestiert, der EU-Gipfel will Zugeständnisse, wodurch die Zwei-Drittel-Mehrheit in Berlin für Fiskalpakt und ESM scheitern könnte. Und dann ist da auch noch der Fußball.

Die Kanzlerin weiß, dass es mal wieder eine "historische Woche" im Leben Europas, Deutschlands und Angela Merkels ist, dass sie sich keinen Fehlgriff erlauben darf. Und dann greift sie gleich am Morgen daneben, wählt den lachsfarbenen Blazer zur beigen Hose. Die Frau habe Mut, verlautet aus den Fraktionssälen im Bundestag. Wenn es doch nur um die Garderobe ginge! Aber es geht um Geld, um unvorstellbar viel Geld. Für das Schicksal des Euro und Europas müssen Mehrheiten organisiert werden. Das wird zum Kampf an vielen Fronten.

Sie wirke "angespannt", heißt es. Andere glauben, sie sei "ein wenig erschöpft". Wieder andere wollen sie "leicht nervös" erlebt haben. Die Wahrnehmungen der vielen, die in diesen Tagen nicht im Geringsten mit ihr tauschen möchten, passen nicht zusammen. Zumindest macht die Kanzlerin einen gelösten Eindruck, als sie am Nachmittag im Reichstagsgebäude von der Union zur FDP wechselt. Gerade hat sie vor den Parteifreunden für Fiskalpakt und ESM geworben, nun wiederholt sie es vor den Partnern. Dabei erweckt sie den Eindruck, als freue sie sich sogar darauf, scherzt und lacht mit Fraktionschef Rainer Brüderle, bevor es zur Sache geht.

Es ist ein ambitionierter Schlussspurt, den sich Merkel da vorgenommen und den anderen zugemutet hat. Gestern die Fraktionen, heute die Regierungserklärung im Bundestag, gleich darauf der Flug nach Paris, um mit Frankreichs Präsident François Hollande in die Feinabstimmung für den EU-Gipfel an den folgenden Tagen zu gehen.

Da soll es schon in der Grobabstimmung geklemmt haben. Für Merkel ist das nur der Auftakt der Herausforderung. Hollande will Deutschland für die Euro-Rettung noch stärker in die Pflicht nehmen — ebenso wie die Mehrzahl der übrigen Staatenlenker der EU tags drauf. Kann es da noch einmal eng werden? Wenn sie sich in Brüssel zu wenig bewegt, kann sie international das Projekt Europa zum Einsturz bringen, bewegt sie sich in Brüssel zu viel, riskiert sie, im Bundestag die Gefolgschaft zu verlieren. Vorsichtshalber hat sie für Freitag kurz nach dem Gipfel in Brüssel in Berlin eine weitere Regierungserklärung angemeldet. Und auch gleich klarstellen lassen, dass in den Debatten zum Euro im Bundestag dieses Mal auf das Redezeitkontingent der Fraktion auch abweichende Meinungen zu Wort kommen. Da soll auch nicht aus Versehen ein Proteststurm entstehen.

In Union und FDP wird mit den "üblichen Verdächtigen" in kleiner zweistelliger Zahl gerechnet. 129 Nein-Stimmen oder Enthaltungen dürfen sich Union, SPD, FDP und Grüne leisten. Nach solchen Ausmaßen sieht der Widerstand nicht aus — auch wenn sich bei den Grünen nach dem knappen Partei-Votum für den Fiskalpakt auch in der Fraktion eine "signifikante Zahl von Abgeordneten ein Nein überlegt", wie Fraktionsvize Bärbel Höhn spürt. Aber bis zur Abstimmung sei ja "noch etwas Zeit". Die ist für Freitag, 20 Uhr, terminiert, damit das Ergebnis umgehend zum Bundesrat gebracht werden kann, der sich für 21 Uhr zur Sondersitzung bereithält. Der Bundespräsident will dann mit seiner Unterschrift warten, bis auch das Bundesverfassungsgericht geprüft hat. "Ein ganz normaler Vorgang", sagt Brüderle dazu. Aber mit der Folge, dass ausgerechnet wegen Deutschland der ESM-Rettungsschirm doch nicht am 1. Juli in Kraft treten kann. Merkel wollte ein starkes Signal, jetzt bekommt sie bestenfalls eines mit starkem Schönheitsfehler.

Martin Schulz (SPD), der Präsident des Europaparlaments, macht eine weitere Front auf. Er soll nur bei einem Randthema am Gipfel teilnehmen und den Saal verlassen, wenn es wichtig wird. "Ich bleibe einfach sitzen", lautet sein Plan. Schließlich kontrolliere das Parlament die EU-Kommission und den EU-Haushalt — und der trage mit immerhin 40 Milliarden Euro auch zur Euro-Rettung bei, also gehöre er mit an den Tisch. "Das EU-Parlament bei diesen wichtigen Entscheidungen auszuschließen, ist demokratiepolitisch nicht akzeptabel", betont Schulz.

Er reiht sich ein in die mächtigen Gegenspieler, die von Merkel den Einstieg in eine Vergemeinschaftung der Schulden wollen. Das ruft Merkels eigene Truppen auf den Plan. "Europa kann nicht nur an zu wenig Solidarität, sondern auch an zu viel Solidarität scheitern", orakelt FDP-Außenminister Guido Westerwelle — für den Fall, dass "Deutschlands Schultern" überlastet würden.

Und dann tut sich für Merkel noch eine weitere Front auf: Soll sie sich Donnerstag mit dem italienischen Amtskollegen Mario Monti vom Konferenztisch stehlen, um das Halbfinalspiel der Europameisterschaft zu gucken? Darf sie, soll sie, muss sie Sonntag doch in die Ukraine, wenn es die deutsche Elf ins Endspiel schafft? Emotional beginnt die Euro den Euro zu überlagern. Euro-Kritiker Wolfgang Bosbach antwortet auf die Frage, wie denn die wichtigste Abstimmung der Woche ausgehe, augenzwinkernd mit "2:1 für Deutschland".

(RP/jh-)
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