Schärfere Corona-Maßnahmen in NRW „Der November wird der Monat der Entscheidung“

Berlin/Düsseldorf · NRW-Ministerpräsident Armin Laschet bereitet die Bevölkerung auf weitere Einschränkungen vor, insbesondere bei privaten Feiern und Kontakten. Zudem hat die Politik Sorge vor einem Kollaps der Krankenhäuser.

Armin Laschet am Freitag in der Staatskanzlei.

Armin Laschet am Freitag in der Staatskanzlei.

Foto: dpa/Henning Kaiser

Vor der Beratungsrunde der Länder-Regierungschefs mit Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch hat NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) vor einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems gewarnt. „Die Lage ist sehr, sehr ernst. Der November wird der Monat der Entscheidung“, sagte Laschet nach einer Sitzung des Landeskabinetts. Die Menschen müssten sich auf weitere Einschränkungen einstellen, wenn auch zeitlich befristet. Insbesondere private Feiern und Kontakte müssten deutlich zurückgefahren werden, möglicherweise wie im März. Damals durften sich in der Öffentlichkeit nur noch zwei familienfremde Personen treffen.

Einen zweiten Lockdown hingegen will Laschet unter allen Umständen vermeiden. Schulen, Kitas und das wirtschaftliche Leben hätten Priorität. Ebenso sollten besonders schutzbedürftige Menschen wie Senioren Vorrang bei Schnelltests und FFP-2-Masken erhalten. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) rechnete vor, dass die Grenzen des Gesundheitssystems im Land Ende des Jahres erreicht sein könnten. Zuvor soll Laumann nach Angaben von Teilnehmern in einer internen CDU-Fraktionssitzung berichtet haben, dass die Beatmungsplätze in den Krankenhäusern bei der herrschenden Infektionsdynamik in NRW auch vorher schon belegt sein könnten. Für die Gesundheitsämter stellte die Landesregierung zusätzlich 25 Millionen Euro zur Verfügung.

Kanzlerin Merkel warnte am Dienstag ebenfalls vor einem Zusammenbruch des deutschen Gesundheitssystems, sollten die Corona-Infektionszahlen weiter drastisch ansteigen. Sorge mache ihr vor allem die Lage der Krankenhäuser, sagte Merkel Teilnehmern zufolge in der Unionsfraktionssitzung am Dienstag. Bei den Intensivbetten gebe es alle zehn Tage eine Verdoppelung. „Noch vier Mal Verdopplung und das System ist am Ende“, sagte Merkel.

 Die Äußerungen lassen darauf schließen, dass bei den an diesem Mittwoch anstehenden Bund-Länder-Beratungen in einer Videokonferenz mit den Ministerpräsidenten scharfe Einschränkungen des öffentlichen Lebens zu erwarten sind, etwa auch beim Freizeit- und Kontaktsport sowie Veranstaltungen. Dazu passt auch der Entwurf für die Beschlussvorlage, der auch unserer Redaktion vorliegt.

In Regierungskreisen wurde am Dienstag von einem drohenden „kompletten Kontrollverlust“ wie in EU-Nachbarstaaten gesprochen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier erwartet, dass Deutschland schon Ende der Woche 20.000 Neuinfektionen am Tag verzeichnen wird.

Ein möglicher Weg für härtere aber zeitlich befristete Maßnahmen wäre ein sogenannter „Wellenbrecher-Shutdown“, wie ihn SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert. „Wenn wir einen vollständigen Shutdown samt Schulen, Kitas und Betrieben verhindern wollen, brauchen wir spätestens ab kommender Woche Mittwoch einen zweiwöchigen Wellenbrecher-Shutdown mit einzelnen Ausnahmen, mit dem wir die massive zweite Welle brechen können“, sagte er unserer Redaktion. Schulen, Kitas und Geschäfte für den lebenswichtigen Bedarf könnten geöffnet bleiben, Betriebe ihre Arbeit so weit wie möglich ins Homeoffice verlagern. Nicht verschiebbare Familientreffen etwa für Beerdigungen könnten mit maximal reduzierter Anzahl von Personen stattfinden. Auf Hochzeits- oder Geburtstagsfeiern sollte in dem Zeitraum verzichtet werden, sagte Lauterbach. „So ein Wellenbrecher-Shutdown ist unsere letzte Patrone.“

Lauterbach sprach sich zudem für Kontrollen privater Wohnungen aus. „Wir befinden uns in einer nationalen Notlage, die schlimmer als im Frühjahr werden kann. Die Unverletzbarkeit der Wohnung darf kein Argument mehr für ausbleibende Kontrollen sein“, sagte er. „Wenn private Feiern in Wohnungen und Häusern die öffentliche Gesundheit und damit die Sicherheit gefährden, müssen die Behörden einschreiten können.“ Lauterbach griff in dem Zusammenhang NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) an, der sich dagegen ausgesprochen hatte. „Laschet irrt, wenn er solche Superspreading-Events weiterhin tolerieren will“, sagte Lauterbach.

Wie ernst die Lage ist, machten auch die Intensivmediziner deutlich. Sie sorgen sich um Engpässe aufgrund des Ausfalls von Pflegekräften. „Die Krankenhäuser müssen den wahren Ist -Zustand ins DIVI-Intensivregister melden, insbesondere wenn an einem Tag Pflegeausfälle bestehen und daraus Bettensperrungen resultieren“, sagte Christian Karagiannidis, wissenschaftlicher Leiter und Sprecher des DIVI -Intensivregisters. Seine Gesellschaft müsse sich auf ehrliche Rückmeldungen verlassen können. Ziel des DIVI-Intensivregisters ist, die Verfügbarkeiten von Beatmungsbetten und von erweiterten Therapiemaßnahmen bei akutem Lungenversagen in Deutschland sichtbar zu machen.

Der Mediziner sieht die Krankenhäuser in der Pandemie zwar grundsätzlich gut vorbereitet, „allerdings hören wir zunehmend von gesperrten Intensivbetten wegen Intensivpflegemangel Land auf - Land ab“. Verfolgen müsse man die Situation vor allem bei den so genannten Maximal- und Schwerpunkt-Versorgern – also Universitätskliniken und Krankenhäuser mit 700 bis über 1000 Betten - weil dort die meisten Covid-Patienten aufgenommen würden. „Es kommt entscheidend darauf an, ob diese Krankenhäuser Kapazitäten haben. Hier ist die Situation nicht so entspannt wie manchmal suggeriert wird“, sagte der kommende Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DIVI).

Seiner Ansicht nach muss ein spezielles Augenmerk auf die Infizierten über 60 Jahren gelegt werden, da diese den Großteil der intensivpflichtigen Patienten ausmachten. Er wies auch darauf hin, dass Intensivkapazitäten von allen Patienten benötigt würden, nicht nur von Covid-Patienten. Der Intensivmediziner forderte die Politik auf, schnell zu kommunizieren, ob man sich auch um Erkrankte aus den Nachbarländern kümmern wolle. „Belgien und die Niederlande kommen sehr bald an Ihre Grenzen. Will Deutschland auch als EU Ratspräsident dann helfen? Die Fachgesellschaften positionieren sich hier klar dafür, solange bei uns Kapazitäten bestehen“, sagte Karagiannidis.

Laschet will dem Vernehmen nach in den Beratungen darauf dringen, dass die Gastronomie möglichst nicht weiter eingeschränkt wird, wie aus Kreisen der Landesregierung verlautete. Kontrollen von Privatwohnungen erteilte Laschet auch am Dienstag eine Absage.

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