Zum Treffen im Kanzleramt Putins Wunder

Meinung | Berlin · Der erste Deutschlandbesuch des russischen Präsidenten Putin seit drei Jahren hätte den Durchbruch bringen müssen: 400.000 Tote in Syrien und fast 10.000 in der Ostukraine sind viel zu viel, um in Gesprächsrunden Ermahnungen auszutauschen.

Merkel-Treffen: Wladimir Putins Wunder
Foto: ap, MS

Doch Merkel hatte schon vorher vor Hoffnungen auf ein "Wunder" gewarnt. Die schlimmen Erfahrungen seit Putins letzter Visite in Deutschland belegen den Wert von Gesprächen: Ohne sie stolpern die Krisen in noch schrecklichere Eskalationen. Erst die beharrlichen Treffen zwischen den Spitzen aus Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland haben dazu geführt, dass der heiße Krieg in der Ukraine in einen kalten, wenn auch immer wieder in Gewalt umschlagenden Konflikt überführt werden konnte. Davon ist Syrien weit entfernt.

Insofern unterschied sich die Tonlage zu den beiden Regionen auch fundamental. Beim Thema Ukraine gab es das Drängen auf eine Art Straßenkarte, auf der die verbindlichen Schritte auf dem Weg zur Umsetzung des wiederholt längst Vereinbarten eingezeichnet werden sollen. Ukraines Präsident Petro Poroschenko verkündete als großen Fortschritt das Einverständnis Putins, dass die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) auch bewaffnet zur Befriedung der Region beitragen sollen.

Freilich müssen sämtliche Details erst noch von den Experten und dann von den Außenministern ausgehandelt werden. Das klingt nach weiteren Wochen und Monaten, bis die Tischgespräche im Berliner Kanzleramt in der ukrainischen Wirklichkeit ankommen. Wenn überhaupt. Denn es spricht Bände, dass es Putin durchsetzte, genau jenen Berater mit an den Tisch im Kanzleramt zu setzen, den die EU als Scharfmacher und Mitverantwortlichen für die Ukraine-Krise mit einer Einreisesperre belegt hatte.

Beim Thema Syrien ging es deutlich härter zu. Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande wies Putin darauf hin, dass in Syrien gerade "Kriegsverbrechen" verübt würden. Und auch vor der Öffentlichkeit wandelte er die bisherige diplomatische Formulierung vom syrischen "Regime und seinen Unterstützern" in die Aufforderung, dass "das Regime und die russische Luftwaffe" sofort mit der Bombardierung von Aleppo aufhören müssten.

Somit ist für eine Bewertung allein der Maßstab entscheidend. Wenn durch das fünfstündige Treffen in Berlin in der Folge wenigstens an einem halben Tag viele Menschen nicht getötet wurden und eine humanitäre Versorgung vorübergehend in Gang kommt, war es gut, dass es das Treffen gab. Und wenn die Neigung zur Gewalt in der Ostukraine wieder etwas eingezäunt werden konnte, gilt dafür dasselbe.

Andererseits kann es die Welt wirklich leid sein, dass sich seit dem ersten Treffen am Rande der Gedenkfeiern zur Landung in der Normandie vor über zwei Jahren die Vertreter Russlands, der Ukraine, Frankreichs und Deutschlands wieder und wieder zusammensetzen, um wieder und wieder zu bestätigten, dass die Vereinbarungen von Minsk gelten sollen. Dass es dann aber jedes Mal wieder am Willen fehlt, den Konflikt nachhaltig zu entspannen. Und dass es der Welt wieder und wieder nicht gelingt, das grauenhafte Töten in Syrien auch nach so viel Leid zu beenden. Das ist ein moralisches und zivilisatorisches Armutszeugnis für die Menschheit.

 In kleiner Runde wurde über Syrien gesprochen

In kleiner Runde wurde über Syrien gesprochen

Foto: rtr, EI/HH

Beides hängt mit der Situation Russlands zusammen, das angesichts wirtschaftlicher Schwäche und globalen Bedeutungsverlustes selbst vor der Gefahr riesiger innerer Spannungen steht. Noch vor wenigen Jahren wäre es einem Wunder gleichgekommen, von den inneren Problemen dauerhaft durch eine Rückkehr zu einer weltpolitisch wichtigen Rolle ablenken zu können, diesen Scheinriesen auf einer Augenhöhe mit der Supermacht USA wahrnehmbar zu positionieren. Beharrlich arbeitet Putin daran, dass dieses Wunder Wirklichkeit wird. Das schließt allerdings das andere Wunder — den Durchbruch zum Frieden — derzeit aus.

Aus seiner Sicht braucht Putin eine dauerhaft destabilisierte Ukraine, um alle proeuropäischen Bestrebungen im einstigen sowjetischen Einflussbereich in Schach zu halten. Und er braucht Syrien, um über neue Gestaltungsmacht im Nahen Osten die Funktion Russlands als Entscheidungsfaktor in Weltkrisen zu stärken. Dass er dabei ein eigenes Interesse hat, eine politische Verständigungslösung zu erschweren, leitet sich aus der Furcht vor einer Farbrevolution von unten auch in Russland ab. Jede Bombe, die das Assad-Regime stärkt und es glauben lässt, irgendwann wieder das gesamte Land kontrollieren zu können, ist ein Zeichen Putins, es auch in Russland bloß nicht mit ihm aufzunehmen und etwa sein Modell der gelenkten Demokratie in Frage zu stellen.

So lange er in seiner Strategie voran kommt, Fakten zugunsten des Assad-Regimes und seiner eigenen Position in der Welt zu schaffen, ist er auch immer mal wieder zu Feuerpausen bereit. Zum Nachladen.

(RP)
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