Merkel ohne Kanzlermehrheit

Nein, die Regierung Merkel ist noch nicht am Ende. Ein Bundespräsident Joachim Gauck wird nicht als erste Amtshandlung den Bundestag auflösen müssen. Denn selbst, wenn alle Abgeordneten von SPD, Grünen und Linken gestern gegen die Euro-Rettung gestimmt hätten, wäre Merkel mit einer eigenen Mehrheit ins Ziel gekommen.

Doch dass die Kanzlermehrheit nicht nur knapp, sondern deutlich verfehlt wurde, darf kein Koalitionär auf die leichte Schulter nehmen. CSU-Chef Horst Seehofer hatte tags zuvor die Messlatte ausdrücklich so hoch gelegt. Merkel hat sie glatt gerissen. Und das zum ersten Mal in ihrer Kanzlerschaft. Das ist kein Beinbruch, aber deutlich mehr als ein verstauchter Knöchel.

Bislang konnten sich die Manager von Merkels Mehrheit zurücklehnen und versichern: "So oft Ihr die Kanzlermehrheit sehen wollt, werden wir sie Euch zeigen." Diese Gewissheit haben sie verloren. Merkels bisheriger Handlungsrahmen – vom felsenfesten Heimatfundament aus Europa retten – hat Risse bekommen. Nach der Niederlage in der Präsidentschaftsfrage gegen eine hinter ihrem Rücken Fakten schaffende FDP ist das bereits der zweite Schlag gegen Merkels Macht. Koalitionen leben vom Gefühl, viele Gemeinsamkeiten und die Mehrheiten dafür zu haben. Diese Vorräte schwinden.

(RP)
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