"Merkel gab Guttenberg Todeskuss"

Der Parteichef der Grünen, Cem Özdemir, der seinerzeit nach Verfehlungen selbst zurücktrat, über die Rückkehr in die Politik, über das neue Bild des Außenministers Guido Westerwelle und über die gesunkenen Chancen für Schwarz-Grün in Baden-Württemberg

Die CSU nimmt es mit der Aufarbeitung des Guttenberg-Rücktritts ernst: Sie kritisiert den Bundestagspräsidenten und die Forschungsministerin.

Özdemir Wie CSU-Chef Seehofer auf die Nummer zwei im Staat und die Wissenschaftsministerin losgeht, das zeigt, wie überrascht die Union von diesem Vorgang ist und dass sie die schwerwiegenden Vorwürfe offenbar nicht ernst nimmt. Die Union wäre gut beraten, wenn sie die Verantwortlichen nicht länger bei der Opposition und der Hauptstadtpresse sucht oder blinde Gefolgschaft in den eigenen Reihen einfordert. Herr Guttenberg ist über sich selbst gestürzt. Auch die Bundeskanzlerin trägt Verantwortung. Angela Merkels Strategie, Guttenberg zu retten, indem sie die deutsche Wissenschaft der Lächerlichkeit preisgibt, war für Guttenberg der Todeskuss. Bei dem Versuch, ihren Verteidigungsminister zu halten, hat sie ihn in den Abgrund gezogen. Darüber sollte die Union nachdenken.

Sie sprechen da auch aus eigener Erfahrung. Sie sind nach Ihrem Rücktritt wiedergekommen. Kann Guttenberg das auch?

Özdemir Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass weder Selbstmitleid hilft, noch dass Parteifreunde um sich schlagen. Zuerst einmal sollte man die Verantwortung bei sich selber suchen. Es sind keine wirklichen Freunde, die ihm jetzt mit Opferrhetorik vermeintlich zur Seite springen.

Sie sind nach dem Rückzug höher gestiegen als vorher. Dürfen seine Anhänger das auch von Guttenberg erwarten?

Özdemir Ich kann nicht in die Zukunft schauen. Da haben die Parteien und vor allem die Wähler ein Wort mitzureden. Vor allem hängt es davon ab, wie er selbst damit umgeht. Er muss das aufarbeiten und mit sich selbst ins Reine kommen. Und dann muss er entscheiden, was er mit seinem weiteren Lebensweg macht. Er ist ja noch jung.

Guttenbergs Nachfolger Thomas de Maizière hat als erstes den Staatssekretär gefeuert.

Özdemir Das ist sein Recht als neuer Minister. Er hat die Möglichkeit, sich einen Staatssekretär seines Vertrauens zu suchen und einen, der zu ihm passt. Ich vermute, dass der neue Minister weniger auf der Titelseite einer bestimmten Zeitung stehen und häufiger im Ministerium zu sehen sein wird. Dass dieses Haus "gut bestellt" sei, scheint mir eher Wunschdenken des Vorgängers zu sein als Realität. Auch die Altlasten von Kundus bis zur "Gorch Fock" warten darauf, dass sich der Minister darum kümmert. Es wäre auch ein Akt der Gerechtigkeit, sich die Akten der von Guttenberg Entlassenen noch einmal genauer anzuschauen.

Sollte de Maizière den "Gorch Fock"-Kapitän bald rehabilitieren?

Özdemir Das muss nach eingehender Prüfung entschieden werden. Ich würde mir aber wünschen, dass künftig Kommandanten nicht mal so eben während einer Autofahrt mit einem Boulevardblatt ihres Amtes enthoben werden. Dieser Hauruck-Stil sollte der Vergangenheit angehören.

Wie beurteilen Sie das Auftreten Guido Westerwelles?

Özdemir Es ist schön, dass er sich für sein Amt etwas stärker interessiert, vor allem angesichts der Ereignisse in Nordafrika. Das liegt im Interesse Deutschlands und Europas. Aber bislang trägt er nicht dazu bei, dass Europa mit einer Stimme spricht. Es hat unserer Glaubwürdigkeit immensen Schaden zugefügt, dass die EU erst nach dem Sicherheitsrat imstande war, Sanktionen gegen das libysche Regime zu verhängen. Das hat uns in der Region zum Gespött der Völker gemacht. Wir dürfen nicht als Kumpane der Diktatoren dastehen. Ich sehe keine Initiativen von Herrn Westerwelle, das zu korrigieren.

Die Sanktionen gegen Gaddafi greifen offenbar nicht. Was ist zu tun?

Özdemir Es ist gut, dass die EU endlich über verschärfte Sanktionen spricht. Am drängendsten ist humanitäre Hilfe. An den Grenzen zu Libyen ereignet sich vor den Augen der Welt ein humanitäres Desaster. Da müssen wir so schnell wie möglich helfen, wir müssen mit Transportflugzeugen Nahrung, Zelte, Medikamente und Trinkwasser in die Flüchtlingslager bringen. Dann müssen wir schauen, wie wir die Nachbarstaaten unterstützen. Das schließt ein, dass die Nachbarstaaten mit ihren eigenen Sicherheitskräften mit dafür sorgen, dass sich die Verhältnisse stabilisieren.

Droht dem baden-württembergischen CDU-Ministerpräsidenten Mappus eine Rache enttäuschter Guttenberg-Anhänger bei der Wahl?

Özdemir Er toppt das ja noch dadurch, dass er die Nerven verliert und en passant den CDU-OB von Stuttgart aufs Altenteil schickt. Mappus steht nicht für die traditionelle CDU. Ich habe bekanntlich die "Pizza-Connection" mit erfunden, also den Austausch zwischen jungen CDU- und Grünen-Politikern. Wir hatten in Baden-Württemberg immer ein gutes Verhältnis. Mappus hat das durchbrochen durch seinen ungelenken Rambo-Stil. Er erinnert mich an einen Hilfssheriff, dem der Colt zu locker sitzt und der zur Ordnung gerufen werden muss.

Und nach dem Ordnungsruf regieren die Grünen mit ihm?

Özdemir Ich bedauere sehr, dass die Mappus-CDU sich so ins Aus gestellt hat. Mappus hat die CDU Baden-Württembergs zur Ober-Atom-Partei gemacht, der nicht einmal die Laufzeitverlängerung der Bundes-CDU weit genug ging. Wir wollen das Volk über die Zukunft von Stuttgart 21 entscheiden lassen, Mappus ist gegen direkte Demokratie. So wird es bestimmt nichts mit CDU und Grünen im Ländle.

Gregor Mayntz führte das Gespräch.

(RP)
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