Analyse Meine biologische Uhr gehört mir
Düsseldorf · Zeitenwende in der Reproduktionsmedizin: Dank neuer Technik können Frauen ihre Eizellen einfrieren lassen, um später Mutter zu werden. Emanzipation oder Ökonomisierung - darüber ist weltweit eine Debatte entbrannt.
Man kann es als Freiheitsgewinn betrachten. "Social Freezing" - die technische Möglichkeit, Eizellen junger Frauen einzufrieren, um ihnen eine späte Mutterschaft zu erleichtern, macht Frauen unabhängiger von ihrer biologischen Uhr. Und damit flexibler auf dem Arbeitsmarkt. Sie wollen die entscheidenden Jahre, in denen Männer bisher auf der Karriereleiter an ihnen vorbeiklettern, nicht mehr in Elternzeit verbringen, sondern erst einmal selbst einen attraktiven, womöglich auch sicheren Posten ergattern. Und dann Mutter werden.
Auch die mangelnde Bereitschaft vieler Männer, sich überhaupt - und dann auch noch möglichst früh - auf das Abenteuer Familie einzulassen, führt dazu, dass viele Frauen erst spät tatsächlich Mütter werden können. Und weil die Fruchtbarkeit im Alter rapide abnimmt, ist das vorsorgliche Einfrieren junger Eizellen eine Art Absicherung gegen ungewollte Kinderlosigkeit. Mit dem "Social Freezing", dem "Einfrieren aus sozialen Gründen", hat der Vorsorgegedanke also die Reproduktionsmedizin erreicht. Man kann darin eine Möglichkeit sehen, auf veränderte soziale Umstände zu reagieren.
Und so wird das Thema in den Vereinigten Staaten auch vor allem pragmatisch diskutiert. Wenn PR-erfahrene Unternehmen wie Apple oder Facebook damit an die Öffentlichkeit gehen, dass sie ihren Mitarbeiterinnen künftig die Kosten für das Einfrieren ihrer Eizellen bezahlen, dann rechnen sie mit hoher Akzeptanz in der Bevölkerung. Das Angebot der Unternehmen wird in Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit als besondere soziale Fürsorglichkeit gewertet.
Nun hat die Emanzipation der Frauen immer bedeutet, dass die sich unabhängig gemacht haben von den Vorgaben ihres Geschlechts, von biologischen Festlegungen, die in einer männerdominierten Gesellschaft auch Benachteiligungen bedeuten. Die Geschichte der Frauenbewegung ist ohne medizinisch-technischen Fortschritt nicht denkbar. Auch die Pille war so ein "Eingriff in die Natur". Frauen wollten selbst bestimmen, wann sie sich bereit fühlten, schwanger zu werden. Mit der Debatte um Paragraf 218 und die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs reklamierten sie auch das Recht auf Abtreibung für sich. Nun wollen sie die Familienplanung ganz in die eigenen Hände nehmen. Aus dem "Mein Bauch gehört mir!" ist das "Meine biologische Uhr gehört mir!" geworden.
Doch was auf den ersten Blick nur als weiterer Schritt auf demselben Weg erscheint, ist nicht nur ethisch bedenklich, es wirft auch gesellschaftliche Fragen auf: Zum Beispiel die, ob es beim "Social Freezing" tatsächlich um Emanzipation oder nicht doch viel mehr um die Ökonomisierung des Lebens geht. Statt weiter langwierig um Teilzeitmodelle, Firmen-Kitas, neue Väterrollen, also um die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie zu ringen, ist es viel bequemer für Unternehmen und Gesellschaft, wenn Frauen Hormone schlucken und das Mutterwerden verschieben. Zumal die Reproduktionsmedizin mit diesem neuen Feld einen lukrativen Zweig hinzugewinnt.
Bei vielen Frauen bleibt es am Ende allerdings bei den schönen Plänen für das späte Glück mit Kind. In einer Klinik in Brüssel, die das Einfrieren seit fünf Jahren praktiziert, haben 200 Frauen Eizellen frosten lassen, nur vier ließen sie auch wieder auftauen, geboren wurde ein Kind. Mit dem romantischen Traum vor Augen investieren Frauen ihre besten Jahre in die Karriere, sind effiziente Mitarbeiterinnen - und weil das dann den längsten Teil ihres Lebens ausgemacht hat, belassen sie es dabei.
Solche Zahlen zeigen, dass der Entschluss für ein Kind eben kein Karrierebaustein ist, der sich in der Vita hin- und herschieben ließe. Es hat viel grundlegender mit dem Werteempfinden von Menschen zu tun, damit, worin sie Bestätigung und Selbstverwirklichung suchen. Kinder werden heute vor allem als Hindernis diskutiert, als Fehlzeit-Verursacher. Statt Frauen die Verschiebung ihres Kinderwunsches zu finanzieren, müssten Unternehmen den Gewinn sehen, den Elternschaft auch für die Entwicklung von Mitarbeitern bedeutet. Und wenn sie ihn nicht sehen, ist der Staat als Korrektor gefordert mit Mitteln wie der Frauenquote. Doch zu all dem bedarf es des mühsamen gesellschaftlichen Diskurses. Reproduktionsmedizin ist simpler.
Außerdem haben all die Debatten über den Wert der Elternschaft bisher auch viele Männer nicht überzeugt. Soziologische Studien an Fruchtbarkeitskliniken ergeben jedenfalls, dass Frauen in der Regel nicht aufgrund ihrer Karrieren kinderlos bleiben, sondern weil sie nicht rechtzeitig die geeigneten Partner finden. Es ist also verständlich, wenn "Social Freezing" für viele Menschen nach sozialer Kälte, nach der Schockfrostung menschlicher Beziehungen klingt. Mit dem Einfrieren ihrer Zellen tun Frauen das einzige, was ihnen bleibt, um nicht ungewollt kinderlos zu bleiben. Was manche als Zeichen der Emanzipation bejubeln, ist letztlich Zeichen ihrer Ohnmacht.
Wenn das in den Vereinigten Staaten auf weniger Widerstand stößt, hat das womöglich mit einem anderen Freiheitsbegriff zu tun, vielleicht aber auch mit einer tiefer verinnerlichten ökonomischen Weltsicht. Wenn es am Ende immer nur um Effizienz geht, dann halten ethische Fragen Entwicklungen wie das "Social Freezing" nur kurzfristig auf. Dann stört es bald niemanden mehr, wenn Kinder nicht einmal ihres Alters mehr sicher sein können, weil zwischen Einlagerung der Eizelle, aus der sie stammen, und der Befruchtung Jahre vergangen sind. Vielleicht hat sich der Mensch mit der vollkommenen Technisierung des Zeugungsaktes nicht nur zum Herrn über das Leben gemacht. Vielleicht war dies nur der erste Schritt hin zur völligen Unterwerfung des Lebens unter das Diktat der Ökonomie. Darüber dürften nicht nur Frauen erschrecken.