Düsseldorf Mehrheit für Rot-Grün im Bundesrat

Düsseldorf · Die Erfahrung zeigt, in Wahlkampfzeiten kann die Opposition die Regierung im Bundesrat blockieren.

Nach dem hauchdünnen Sieg von Rot-Grün in Niedersachsen und dessen gewachsenem Einfluss im Bundesrat werden verstärkt diese Fragen gestellt: Wer hat politisch das Heft des Handelns in der Hand? Und wer den Klotz zum Blockieren?

Am Anfang steht – wie könnte es anders sein! – das Grundgesetz. In Artikel 20 Absatz 1 heißt es: "Die Bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat." Also Bundesstaat, etwa wie die USA, und kein Zentralstaat nach französischem Muster. Mehr noch: Ehe der Bund war (Mai 1949), gab es schon die (meisten) westdeutschen Länder. Deshalb ärgerte sich NRW-Ministerpräsident Johannes Rau regelmäßig über den leichtfertigen Gebrauch des Wortes "Bundesländer", weil das fälschlich suggeriere, der Bund hielte sich Länder.

Die sechzehn Länder (Thüringen, Sachsen, Bayern nennen sich Freistaaten) verfügen über ein eigenes Verfassungsorgan, den Bundesrat, salopp Länderkammer genannt. Die bundesstaatliche Ordnung kommt weiter in Artikel 50 des Grundgesetzes zum Ausdruck. Dort heißt es: "Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit." Und 20 Artikel später steht im Grundgesetz: "Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse erteilt." Nebenbei: Das hat es ausgiebig getan.

Auch wenn die am vergangenen Sonntag siegreichen Spitzenrepräsentanten von SPD und Grünen versichern, sie würden von ihrer neu gewonnenen Macht im Bundesrat verantwortungsvoll Gebrauch machen, also keine politische Blockade um der Blockade willen veranstalten, lehrt die Erfahrung besonders in Wahlkampfzeiten: Wenn ein Bundesrat die Chance wittert, der politisch anders gefärbten Regierungs- und Bundestagsmehrheit Sand ins Gesetzgebungsgetriebe zu streuen, wird er es tun. 1997, ein Jahr bevor Rot-Grün im Bund Schwarz-Gelb besiegte, hatte die SPD-Opposition unter der Regie ihres damaligen Vorsitzenden Oskar Lafontaine via Bundesrats-Dominanz den Bundesgesetzgebungs-Betrieb von Union und FDP fast lahmgelegt und sich sodann über Stillstand und bleierne Zeiten mokiert. Ähnliches könnte sich bis zur Bundestagswahl in knapp acht Monaten, diesmal mit Fernsteuerung durch Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin, zum Schaden der Bundesregierung Merkel/Rösler wiederholen. Da Rot-Grün, sobald die neue Landesregierung in Hannover im Amt ist, über 36 von 69 Stimmen im Bundesrat, also über eine absolute Mehrheit verfügt, könnten mit dieser "Gestaltungs"-Mehrheit rot-grün (NRW, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, hier ergänzt um den SSW der dänischen Minderheit), grün-rot (Baden-Württemberg), rot-rot (Brandenburg) oder von der SPD allein regierte (Hamburg) Länder Gesetzesinitiativen beschließen: etwa zur Einführung des gesetzlichen Mindestlohns oder zur Abschaffung des Betreuungsgeldes. Die Beschlüsse gingen über die Bundesregierung an den Bundestag. Dort müssten sich CDU/CSU und FDP ihrerseits mit absoluter Mehrheit (derzeit 330 von 620 Stimmen) auf ein Nein zum Bundesratsentschluss einigen, damit die "linken" Initiativen nicht am Ende via Bundesrat Gesetz werden und die Politik der Bundesregierung torpedieren.

Auch den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat könnten die neuen rot-grünen Kräfte mit ihren zusätzlichen sechs Niedersachsen-Stimmen im Bundesrat leichter nutzen, um ein von Schwarz-Gelb beschlossenes Gesetz aufzuhalten, wenn nicht gar bei nahem Ende der Legislaturperiode durch Verzögerung ins Leere laufen zu lassen. Der Bundesrat (konkret: die neue 36-Stimmen-Mehrheit) könnte bis zum Sommer gegen sämtliche im Bundestag von Schwarz-Gelb beschlossenen Gesetze den Vermittlungsausschuss anrufen. Der versucht in oftmals zermürbenden Verhandlungen, eine Einigung zwischen den politisch divergierenden Positionen des Bundestages und Bundesrates herzustellen. Der Vermittlungsausschuss kann Vorschläge zur Änderung des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes unterbreiten oder empfehlen, den Gesetzesbeschluss aufzuheben. Über die Änderungsvorschläge muss wiederum der Bundestag abstimmen. Erst wenn er seinerseits mit derzeit schwarz-gelber Mehrheit den Vorschlag zurückweist und den Einspruch des Bundesrates überstimmt, ist das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen.

Woran man erkennt: Ein echtes Verhinderungsrecht hat der Bundesrat nur bei solchen Gesetzen des Bundestages, die ausdrücklich der Zustimmung der Länderkammer bedürfen, damit sie wirksam werden. Diese Zustimmungsgesetze sind beispielsweise solche, die Auswirkungen auf die Finanzen der Länder haben, in deren Organisationsrecht eingreifen oder das Grundgesetz ändern sollen. Letzteres bedarf jeweils einer Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und -rat.

(RP)
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