Analyse Das Volk liebt reuige Sünder

Düsseldorf · Die Bischöfin Margot Käßmann hat 2010 erst alles falsch und danach alles richtig gemacht. Ihr Beispiel führt in diesen Tagen zu anderen Prominenten wie Alice Schwarzer oder Helmut Linssen, die auf Vergebung hoffen. Dürfen sie?

Auch wenn es nicht mehr weit hin ist bis zu den tollen Tagen — mit dem augenzwinkernden Karnevalsschlager "Wir sind alle kleine Sünderlein" des seligen Willy Millowitsch auf den Lippen lassen sich die neuesten Steuer-Extravaganzen prominenter Menschen nicht wegsingen. Alice Schwarzer hat in vielen Jahren viel für die Frauen getan. Nun wurde sie von wem auch immer als eine wohlhabende Frau an den Pranger gestellt, die an deutschen Steuergesetzen vorbei auch einiges für sich getan hat. Dort die wackere, sich auch selbst feiernde Streiterin für gleiche Rechte für Männer und Frauen, hier die nach dem großen Steuer-Vorteil schnappende Frau Raffke in eidgenössischer Tarnfarbe. Auch Tarnfarbe bröckelt ab, wie wir jetzt wissen.

Ähnlich wie Alice Schwarzer entpuppte sich Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD) als ordinärer Vorteilsnehmer, der dem Status des "kleinen Sünderleins" im Steuerrecht (da schwingt stets auch etwas Popeliges, Zwergenhaftes mit) entwachsen ist. In beiden Fällen ging es um sehr viel Geld, das vor dem deutschen Fiskus verborgen werden sollte.

Unter dem Vergrößerungsglas

Bei Helmut Linssen, dem früheren Finanzminister in NRW, der noch bis April als Schatzmeister auf der CDU-Bundeskasse sitzt, liegt die Steuersache anders. Bis zum Beweis des Gegenteils gilt die staatsanwaltschaftlich gestützte Aussage Linssens, dass die wundersame Geldverschiebung nach den Bahamas und nach Panama steuerstrafrechtlich irrelevant gewesen ist. Wer den niederrheinischen Kaufmann Linssen aus vielen Jahren kennt, wird ihn weiter für einen Ehrenmann halten, der nach der Buddenbrook-Devise lebt, am Tage nur solche Geschäfte zu machen, die einen nachts ruhig schlafen lassen.

Aber auch Ehrenmänner und Ehrenfrauen sind nicht vor Dummheiten gefeit. Sind sie Personen des öffentlichen Interesses, erscheinen ihre Dummheiten wie unter dem Vergrößerungsglas. Und, zugegeben: Die vielen kleinen Steuersünderlein zerreißen sich dann gerne ihre Mäuler, ergötzen sich an den im öffentlichen Raum erzeugten Wonnen der Empörung.

Schwarzer löst eher Gelächter aus

Um eine Wühltisch-Floskel des Regierungssprechers Steffen Seibert zu variieren, soll an dieser Stelle festgehalten werden: "Steuerhinterziehung — das geht gar nicht." Ein "Così fan tutte", "So machen's alle", entschuldigt nicht. Wir haben es bei diesem Delikt nicht mit einer komischen Oper zu tun.

Manchmal führen Steuerhinterzieher und (Obacht, Frau Schwarzer!) -hinterzieherinnen auch Schurkenstücke auf, gelegentlich sogar Komödien. Wenn etwa die beim Rechtsbruch ertappte Sünderin Alice Schwarzer ihre schweizerischen Extratouren als eine Art Selbstschutz-Maßnahme darzustellen versucht für den in Wahrheit völlig unwahrscheinlichen Fall, dass sie von bösen Kräften außer Landes gehetzt wird — dann hat sie als Komödiantin der Selbstverteidigung die Lacher auf ihrer Seite; allerdings ist es ein höhnisches Lachen von Leuten, die zwar gerne unterhalten, aber nicht veräppelt werden möchten.

Echte Reue muss schmerzen

Zur Fairness gehört es, festzustellen, dass Schwarzer tätige Reue geübt hat, indem sie sich nach gesetzlicher Maßgabe selbst angezeigt und einen hübschen Batzen Geldes nachentrichtet hat. Auch fügte sie hinzu: "Das Schweizer Konto war ein Fehler. Den bedaure ich von ganzem Herzen." Wenn schon das Herz ins Spiel gebracht wird, wer wollte dann so hartherzig sein und der guten Frau sein "Ego te absolvo" verwehren?

Ist es nun gut? Sollte man es gut sein lassen? Wenn eine Entschuldigung nicht nur im PR-Stil eines routinierten "Mea culpa" ausgesprochen, sondern durch Taten bekräftigt wird, ließe sich das als Beleg echter Reue deuten, welcher Vergebung auf dem Fuße folgen könnte. Echte Reue zeichnet sich dadurch aus, dass sie dem, der sie bekennt, weh tut. Echte Reue macht nämlich klein, man beugt, im übertragenen Sinn, seine Knie.

Ein unvermeidbarer Rücktritt von einem lieb gewordenen Amt beispielsweise schmerzt. Hier fällt uns eine geradezu vorbildhafte Sünderin ein: die Pastorin Margot Käßmann. Sie betrank sich, fuhr anschließend Auto, auch über eine rote Ampel, wurde von der Polizei gestellt und von der Öffentlichkeit infrage gestellt — und zog ohne Ausflüchte die persönliche Konsequenz des Rückzugs vom Bischofs- und EKD-Ratsvorsitzenden-Amt. "Chapeau, Madame!", klang es landauf, landab. Was Käßmann tat, war viel mehr als ein flott ausgesprochenes "Sorry" oder "Excuse me". Fast könnte man aus ihrem Tun den Schluss ziehen: Wenn ein großer Sünder sich so vom Sockel holend klein macht — dann kann das anfängliche Kopfschütteln über den Sündenfall in kopfnickende Sympathie für den reuigen Frevler umschlagen.

Käßmann hat alles richtig gemacht

Dann fallen Sätze wie jener aus der "Tageszeitung" von 2010 auf fruchtbaren Boden: Käßmanns Stimme dürfe wegen dieser einen Dummheit in den großen gesellschaftlichen Debatten nicht fehlen. Wie wir heute wissen, ist das ja auch nicht passiert. Die Pastorin ist rehabilitiert, manche sind gar wie trunken vom Genuss ihrer Worte über Gott und die Welt und die Politik.

Käßmann hat nach ihrer 1,5-Promille-Fahrt alles richtig gemacht: So geriet sie nicht einmal in den Anfangsverdacht bloßer Entschuldigungs-Rhetorik, wie sie der Medienwissenschaftler Steffen Burkhardt vielen prominenten Sündern vorhält. Käßmann hat — was bei einer Theologin nahe liegt — darüber hinaus noch an die christliche Kernbotschaft erinnert, wonach sich der echte Reue zeigende Sünder der Vergebung sicher sein kann und Gott ihn nie fallen lässt, jedenfalls nicht tiefer als in seine Hand. Da schwingt die Frage mit: Wenn der Allerhöchste Barmherzigkeit übt — um wie viel mehr sind wir Niedrigen dann aufgerufen, es ihm gleichzutun.

(RP)
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