Loveparade: Gutachten belastet Polizei

Obwohl das neue Gutachten des britischen Panikforschers zur Schuldfrage keine Stellung nimmt, bringt es die Polizei in Bedrängnis: Die Zäune, die auslösend für die Massenpanik gewesen sein sollen, wurden auf Verlangen der Polizei auf die Rampe gestellt – entgegen der Genehmigung der Stadt.

Duisburg/Düsseldorf Der FDP-Landtagsabgeordnete Horst Engel erwartet, dass NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) den Innenausschuss des Landtags nach Karneval über das neue Gutachten zur Loveparade-Katastrophe informiert. "Für mich zeichnet sich immer deutlicher ab, dass man eine Million Menschen nach Duisburg eingeladen hat, dann aber in Kauf nahm, dass die Rampe als einziger Weg auch noch zusätzlich verengt wurde", sagte Engel unserer Zeitung.

Laut dem neuen Gutachten, über das bisher nicht einmal die Mitglieder des Innenausschusses des Landtags informiert wurden, sollen bei der Duisburger Loveparade am 24. Juli 2010 auf der Rampe zum Veranstaltungsgelände aufgestellte Zäune ursächlich für die Massenpanik verantwortlich gewesen sein, die zum Tod von 21 Menschen und zur Verletzung von mehr als 500 weiteren Besuchern führte. Würde Stills Gutachten in einem Strafverfahren als beweiskräftig angesehen, so könnte es die für den Loveparade-Einsatz verantwortliche Polizeiführung noch deutlicher als bisher belasten. Laut Zeugenaussagen und Gesprächsvermerken waren es Polizisten, die die Aufstellung der Zäune auf der Rampe verlangten – zum Schutz ihrer Fahrzeuge.

Nach den Auflagen zur städtischen Genehmigung der Loveparade hätten sich jedoch auf der Rampe gar keine Zaunelemente befinden dürfen. Entsprechend fragte in der Sondersitzung des Duisburger Stadtrats vom 6. September 2010 ein Ratsmitglied, ob denn am Morgen des Veranstaltungstags auf der Rampe die Zäune zu sehen gewesen seien. Laut Protokoll der nicht-öffentlichen Sitzung, das unserer Zeitung vorliegt (Dokumenten-Zeichen DS 10-1405/2, Seite 35), räumte der Ordnungsamtsleiter ein, lediglich "stichprobenartig" Kontrollen durchgeführt, die Rampe jedoch nicht besichtigt zu haben. Sie sei nicht in den Kontrollpunkten aufgeführt gewesen, die er zuvor mit der Bauordnung abgesprochen habe.

An der Sitzung hinter verschlossenen Türen nahm auch ein Mitarbeiter der Rechtsanwaltskanzlei teil, von der sich das Rathaus sein Gutachten zur angeblichen Unschuld der Stadtverwaltung an der Katastrophe hatte schreiben lassen. Laut Sitzungsprotokoll erklärte der Anwalt, das Abstellen der Polizeifahrzeuge sei unproblematisch und abgestimmt gewesen, "auch mit der Feuerwehr". Problematisch seien jedoch Zäune gewesen, die die Polizeifahrzeuge abgegrenzt hätten und hierzu in einem großzügigen Abstand auf die Rampe gestellt worden seien. Es sei nicht bekannt, wann genau und ob auf Veranlassung der Polizei oder des Veranstalters die Zäune dorthin gestellt worden seien. Offensichtlich seien sie dort erst am Veranstaltungstag errichtet worden, so der Anwalt laut Sitzungsprotokoll.

Pikant: Der Hinweis auf eine solche Absprache – die der städtischen Genehmigung klar widerspricht – fehlt im Gutachten der Stadt, dessen Mitautor der gleiche Anwalt war. Es existiert jedoch das Gedächtnisprotokoll eines Teilnehmers einer Begehung des Geländes, die gut vier Wochen vor der Loveparade stattfand. Auf der Rampe stehend erörterten Polizei, Veranstalter und Feuerwehr demnach, wie man im Falle eines Gewitters verhindern könne, dass Besucher in Massen die Rampe hinab in die Tunnel stürmen würden. Eine ähnliche Situation hatte bei der Loveparade 2008 in Dortmund beinahe zu einer Katastrophe geführt.

In Duisburg erklärte der Veranstalter nun, rein rechtlich keine Handhabe zu haben, die Menschen aufzuhalten. Daher müsse die Polizei das machen. Laut Protokollvermerk erklärten die Polizisten nach kurzer Besprechung, dazu müssten sie Fahrzeuge auf der Rampe parken, um damit im Fall des Falles eine Barriere am Kopf der Rampe errichten zu können. Und: Die Positionierung der Fahrzeuge könne nur in Verbindung mit der Aufstellung eines Zauns erfolgen.

Genau diese Situation zeigen Fotos, die vor und während der Katastrophe entstanden. Der Plan, im Fall eines Unwetters den Rampenkopf abzuriegeln, erklärt auch, warum die Fahrzeuge nicht in Fahrtrichtung der Tunnel geparkt worden waren. Aus dem unter Verschluss gehaltenen Bericht der Staatsanwaltschaft geht hervor, dass städtische Mitarbeiter die Kontrolle der Rampe regelrecht vermieden. Bislang unbeantwortet ist die Frage, wer wann und auf wessen Geheiß die Zäune aufstellte.

(RP)
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