Bundestagswahlkampf der Linken Die rote Fahne gegen Zerrissenheit

Weimar · Lange stand die Linke für Zank und Streit. Jetzt hat Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow als Friedenszeichen und zur Unterstützung Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht in ihren Wahlkreis geholt

 Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow mit Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine (v.r.)

Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow mit Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine (v.r.)

Foto: dpa/Martin Schutt

Frieden. Endlich wieder Frieden. Wenigstens in der Partei Die Linke. Gerade in Zeiten, in denen es Afghanistan drunter und drüber geht, wo der Westen in eine seiner größten militärischen Blamagen gerutscht ist. Susanne Hennig-Wellsow schickt an diesem Abend in Weimar eine Botschaft an die wahlkämpfende Partei: Genossen, habt euch wieder lieb! Was haben Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht gegen diesen Afghanistan-Einsatz gewettert? Regelmäßig im Bundestag, wo das Mandat für die Bundeswehr jedes Jahr verlängert worden ist. Über 20 lange Jahre bis zum schnellen Abzug in diesem Sommer.

Jetzt sind Lafontaine und Wagenknecht dem Ruf von Linke-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow zu einer sehr persönlichen Friedensmission gefolgt. Am Mittwochabend stehen Hennig-Wellsow, Lafontaine und Wagenknecht gemeinsam auf einer Bühne in Weimar, „der schönsten kleinen Stadt der Welt“. Bestes Spätsommerwetter. 23 Grad, Sonne, 700 Zuschauer auf dem Unesco-Platz. Ein passendes Symbol. Schließlich sollen die Vereinten Nationen über den Weltfrieden wachen. Und nach Frieden sehnt sich auch die Linke nach Jahren interner Grabenkämpfe, bei denen Lafontaine und Wagenknecht munter mitgemischt haben.

Bei den ehemaligen Parteichefs Bernd Riexinger und Katja Kipping wäre aktive Wahlkampfunterstützung durch Lafontaine und Wagenknecht, Ehepaar und politische Weggefährten in Personalunion, undenkbar gewesen. Aber für Hennig-Wellsow, Spitzenkandidatin in Thüringen, sind Lafontaine, Mitgründer der gesamtdeutschen Linken, und Wagenknecht, ehemalige Co-Fraktionschefin im Bundestag, gerne nach Weimar gekommen. Erst recht in diesem Bundestagswahlkampf, wo sich die Partei dem erklärten Ziel eines zweistelligen Ergebnisses jedenfalls den Umfragen zufolge nicht entscheidend nähern kann. Sie kommt bei Werten von sechs bis sieben Prozent nicht von der Stelle. Trotz des Afghanistan-Debakels des Westens. Hennig-Wellsow freut sich in Weimar schon darüber, dass die Union wieder eine „Rote-Socken-Kampagne ausgepackt hat, weil sie meinen, dass wir gefährlich sind“. SPD und Grünen hält sie vor, „die Irrtümer dieser Militäreinsätze grundlegend aufzuarbeiten und zu friedensorientierten Außen- und Sicherheitspolitik zu finden“.

Die Linke-Chefin und ihre Co-Vorsitzende Janine Wissler waren im Februar bei ihrer Wahl an die Parteispitze mit dem Vorhaben angetreten, die Linke wieder zu einen. Streit unter Genossinnen und Genossen sollte endgültig der Vergangenheit angehören. Vor dem Wahlprogramm-Parteitag im Juni war Hennig-Wellsow noch eigens zu einer Friedensmission nach Saarbrücken gereist. „Ich war beim Oskar“, rief sie ins Mikrofon. Vier Stunden Aussprache unter vier Augen. Sie vereinbarten Stillschweigen. Den gemeinsamen Auftritt in Weimar hatten sie da verabredet. Jetzt ist Lafontaine bei ihr, in ihrem Wahlkreis Weimar, Erfurt und dem Grammetal, für den Hennig-Wellsow als Direktkandidatin in den Bundestag einziehen will. Und Wagenknecht ist gleich mitgekommen.

Die ehemalige Bundestagsfraktionschefin wettert nochmals gegen den Afghanistan-Einsatz. Ein „sinnloser Krieg habe sein schmähliches Ende gefunden“. „Es ist eine Schande, wie man die Menschen dort im Stich lässt. Das ist fahrlässige Beihilfe zu Tötung, das ist fahrlässige Beihilfe zum Mord.“ Und sie garantiert: „Wenn Sie die Linke wählen, wählen Sie eine Partei nicht gekauft ist.“ Lafontaine zieht dann auch gleich gegen die Union her, die viel Geld von großen Konzernen erhalte. Aber man müsse wissen: „Wessen Geld ich erhalte, dessen Lied ich sing.“ Überhaupt der Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit. „Wir wollen aber wieder: Krieg den Palästen und Frieden den Hütten“, ruft er unter dem Applaus des Publikums. Die wahre Lohnbremse heiße Hartz IV. Zurück zum Krieg: Lafontaine: „Wer will eigentlich Krieg?“ Der Kapitalismus trage den Krieg in sich, „wie die Wolke den Regen“, zitiert Lafontaine einen Philosophen.

Es gab schon Zeiten, da hatte Linken-Ikone Gregor Gysi wie etwa beim heftig umtosten Parteitag 2011 in Göttingen von blankem Hass in der Bundestagsfraktion gesprochen und aus der Bergpredigt zitiert: „Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“ Es war jener Parteitag, bei dem Lafontaine und indirekt auch Wagenknecht mit einigen Tricks dem Reformpolitiker Dietmar Bartsch als Vorsitzenden verhindert hatten. Stattdessen marschierte der Gewerkschafter Bernd Riexinger an die Parteispitze, an seiner Seite Kipping als Co-Vorsitzende. Lafontaine und Wagenknecht waren mit Riexinger und Kipping ziemlich beste Parteifeinde. Sie stritten über die Flüchtlingspolitik, Wagenknecht irritierte später die damalige Parteispitze mit der Gründung der Sammlungsbewegung „Aufstehen“. Zuletzt warf Wagenknecht den eigenen Genossen in ihrem neuen Buch „Die Selbstgerechten“ vor, sie seien zu sehr „Lifestyle-Linke“.

Gegen Wagenknecht, die Spitzenkandidatin in Nordrhein-Westfalen, wie auch gegen Lafontaine, der dazu aufgerufen hatte, den Saar-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, Thomas Lutze, nicht zu wählen, laufen Parteiausschlussverfahren. Doch Hennig-Wellsow ahnt, dass ihre Partei alle Kräfte einbinden muss, will die Linke sicher wieder in den Bundestag, wo sie in Umfragen teilweise schon gefährlich nahe an der Fünf-Prozent-Hürde war. So sagt Hennig-Wellsow denn auch: „Ich freue mich über die Unterstützung von Sahra und Oskar. Gemeinsam streiten wir für eine soziale Politik für die Mehrheit der Gesellschaft in unserem Land.“ Hennig-Wellsow will den alten Streit nicht mehr. Sie will in den Bundestag. Und noch ein wenig mehr. „Ja, was will ich da erreichen?“, fragt sie auf offener Bühne rhetorisch. Und gibt auch gleich die Antwort: Das Beste, das Größte und natürlich, dass die Linke in eine Regierung gehen kann.“ Noch 32 Tage. Dann weiß sie, wie die Aussichten sind.

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