"Süddeutsche Zeitung" will das System aufgedeckt haben Ließ Kohl selbst "schwarze Kassen" einrichten?

München/Berlin (dpa). Der frühere CDU-Chef Helmut Kohl hat nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) nach seiner Wahl zum Bundeskanzler im Jahr 1982 persönlich den Anstoß zur Begründung des Systems von Schwarzen Kassen bei seiner Partei gegeben. Das berichtet die Zeitung in ihrer Freitagausgabe unter Berufung auf zuverlässige Quellen. Damals seien etwa sechs Millionen Mark heimlich aus der Unions-Bundestagsfraktion an die CDU transferiert worden.

Nach SZ- Angaben soll das Geld auf Anweisung Kohls durch einen Mittelsmann der Fraktion dem damaligen Generalbevollmächtigten der CDU- Schatzmeisterei, Uwe Lüthje, übergeben worden sein. Über den damaligen Finanzberater der Partei, Horst Weyrauch, sei das Geld dann auf Treuhandkonten versteckt worden.

Kohl ließ dazu am Donnerstagabend in Berlin erklären, er habe "an diesen Vorgang, der achtzehn Jahre zurückliegt, im einzelnen keine Erinnerung". Er halte es "aber für denkbar, dass vor dem schweren Bundestagswahlkampf im März 1983 auch alle Möglichkeiten der Fraktion eingesetzt wurden". Auch andere im Bundestag vertretene Parteien hätten sich "die Möglichkeiten der Fraktionen zunutze gemacht". All dies habe mit der Einrichtung von Schwarzen Kassen "überhaupt nichts zu tun". Die Behauptung, er habe mit Fraktionsgeldern selbst Schwarze Kassen einrichten lassen, sei "unzutreffend", hieß es weiter.

Laut SZ erfuhr Kohl nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden 1973 vom damaligen CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep, dass die CDU zu dieser Zeit "fast pleite" war. Einige Jahre danach habe sich Kohl selbst um Spenden gekümmert. 1982 soll er laut SZ Lüthje gebeten haben, sich mit einem Mittelsmann der Fraktion zusammenzusetzen. Dabei habe Lüthje etwa sechs Millionen Mark aus Beständen eines Geheimkontos der Fraktion überreicht bekommen. Das Geld sei dann auf Treuhandkonten versteckt worden, die zuvor lediglich für die Gehälter der wichtigsten Mitarbeiter der CDU-Zentrale genutzt worden seien.

Mit den geheimen sechs Millionen Mark aus der Fraktion sei dann das Finanzreich Kohls aufgebaut worden, berichtet die "Süddeutsche Zeitung" weiter. Über die Abflüsse gebe es keine Unterlagen mehr. Laut SZ wollen weder Lüthje noch Weyrauch den Millionen-Transfer bestätigen.

Im Dezember 1999 hat schon einmal ein Millionentransfer von der Unionsfraktion an die CDU für Wirbel gesorgt. Dabei ging es um 1,146 Millionen Mark von einem Ende 1996 aufgelösten Fraktionskonto.

Schäuble zu ARD: Es gab damals "Rücklagen in Millionenhöhe"

Der frühere CDU-Chef Wolfgang Schäuble erklärte laut SZ im April 2000 vor dem Spenden-Untersuchungsausschuss des Bundestages, er sei früher als Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion für die Finanzen zuständig gewesen, und "in jener Zeit" habe es "auch einmal eine solche Übertragung von Rücklagen" gegeben. An die Einzelheiten könne er sich allerdings nicht mehr erinnern. Lüthje hatte nach Erkenntnissen der "Süddeutschen Zeitung" Schäuble im November vergangenen Jahres an den Sechs-Millionen-Vorgang erinnert.

Schäuble sagte der ARD-"Tagesschau" am Donnerstagabend, es habe damals "Rücklagen in Millionenhöhe" gegeben. Er habe die Gelder als Parlamentarischer Geschäftsführer von seinem Vorgänger übernommen. Bis in die 90er Jahre hinein seien derartige Finanztransfers von der Fraktion zur Partei nicht unüblich gewesen. Unterlagen darüber gebe es nicht mehr.

Nach Angaben der SZ stießen Berliner Staatsanwälte in der Unionsfraktion auf Unterlagen, die Rätsel aufgäben. So habe es im Dezember 1999 eine Anweisung gegeben, zwei Kassenbücher der Fraktion zu vernichten. Im selben Monat sei auch eine Datei mit Angaben über Geldverschiebungen der Fraktion gelöscht worden. Nach Angaben des Blattes prüft die Staatsanwaltschaft Bonn, ob wegen des Transfers mit Fraktionsgelder Ermittlungsverfahren eingeleitet werden müssten.

In Kreisen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hieß es am Abend, das Bundesverfassungsgericht habe erst in den 90er Jahren die Verwendung von Geldern der Fraktionen für Parteizwecke klar geregelt. Bis 1994 habe es eine "rechtliche Grauzone" in dieser Frage gegeben. Alle Parteien - so heißt es in Unionskreisen - hätten diese rechtliche Unklarheit für ihre Zwecke genutzt.

Kohl hat nach Informationen der SZ in seiner Amtszeit insgesamt mindestens zwanzig Millionen Mark aus unterschiedlichen Quellen zur Verfügung gehabt. Kohl hat bislang eingeräumt, in den Jahren 1993 bis 1998 Geld in Millionenhöhe in Empfang genommen zu haben. Nach Berechnungen der von der CDU eingeschalteten Wirtschaftsprüfungsfirma Ernst & Young handelt es sich um 2,174 Millionen Mark. Nach Angaben von Kohl stammt das Geld von anonymen Spendern, denen er sein Ehrenwort gegeben habe, über die Herkunft des Geldes nichts zu sagen.

(RPO Archiv)
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