Düsseldorf "Liebe Mutti, hoffentlich geht der Kessel bald auf"

Düsseldorf · Viel ist nicht bekannt über Max Colditz, nicht einmal sein Schicksal – nur dass er Gefreiter war in der 6. Armee, eingekesselt in Stalingrad. Aber einer von Colditz' Feldpostbriefen ist erhalten. Am 17. Januar 1943, die Sowjets haben schon den halben Kessel von Stalingrad erobert, schreibt Colditz in die Heimat: "Liebe Mutti, hoffentlich geht der Kessel bald auf, sonst müssen wir alle sterben vor Hunger." Das Weihnachtspaket aus der Heimat sei immer noch nicht angekommen, klagt der Sohn: "Wir geben die Hoffnung bald auf. Ich bring meine Beine nicht mehr fort, auch anderen geht es so, also vor Hunger." Das Fazit des jungen Mannes ist so lakonisch wie grauenhaft: "Es muss bald anders werden, sonst geht es noch mehreren so."

Es ging noch mehreren so. Rund 150 000 Mann aus 21 deutschen Divisionen sterben in Stalingrad. Als die Nachrichten von der bis dahin beispiellosen Katastrophe – mit weihevoller Opfer-Rhetorik nur notdürftig bemäntelt – in die Heimat gelangen, ist der Schock riesig. In Nürnberg zerreißen Frauen die Zeitungen, in denen das NS-Regime seine Lügen vom "heroischen Opfer" der 6. Armee verbreitet. Die ganze Nation sei "bis ins Tiefste aufgewühlt", meldet der Sicherheitsdienst der SS besorgt.

Nicht nur militärisch, auch innenpolitisch war diese Niederlage ein Wendepunkt: "Bis Stalingrad war Hitler weitgehend von aller Kritik ausgenommen", konstatiert der britische Historiker Ian Kershaw. "Das änderte sich nun entschieden." Und doch: Bis zum Kriegsende dauert es noch fast zweieinhalb Jahre – und Millionen weitere Tote.

(fvo)
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