Monrovia Liberias Ebola-Waisen schlägt Hass entgegen

Monrovia · Sie haben ihre Eltern an die heimtückische Seuche verloren und tragen nun ein Stigma: Niemand will mit ihnen in Berührung kommen.

Als seine alleinerziehende Mutter und seine große Schwester starben, wurde Saye (Name geändert) zum Aussätzigen. Denn seine Familie starb an Ebola. Aus Angst, sich bei dem zehnjährigen Liberianer anzustecken, ließen alle Freunde und Verwandten den Jungen im Stich. Dabei erzählte Saye ihnen immer wieder, dass er sich nicht infiziert hatte. Doch in dem Land, in dem sich nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation bislang fast 8000 Menschen mit Ebola infiziert haben, wovon rund die Hälfte an dem Virus gestorben ist, glaubt kaum jemand einem Ebola-Waisen.

Saye ist kein Einzelfall. Nach Schätzungen des liberianischen Gesundheitsministeriums haben in dem westafrikanischen Land bislang 2000 Kinder durch Ebola ihre Eltern verloren. Damit sie mit ihren Eltern nicht auch die Chance auf ein Leben in Würde verlieren, eröffnen die liberianische Regierung und die SOS-Kinderdörfer jetzt ein Übergangswohnheim für Ebola-Waisen. Die 18 Frauen und Männer, die sich dort um die Kinder kümmern, wissen genau, was die unter fünf Jahre alten Jungen und Mädchen durchgemacht haben. Denn die Betreuer haben die meist tödlich verlaufene Krankheit selbst überlebt und sind jetzt immun gegen eine erneute Ansteckung.

"Manche der Kinder haben innerhalb kürzester Zeit Mutter und Vater verloren. Wir versuchen, ihnen jetzt so viel emotionalen Halt wie möglich zu geben, damit sie nicht dauerhaft traumatisiert werden", sagt George Kordahi, Direktor der SOS-Kinderdörfer in Liberia. Statt auf Trost stoßen Ebola-Waisen in Liberia fast immer auf Ablehnung, Angst oder sogar Hass. In der Hauptstadt Monrovia zeigen die Aufklärungskampagnen mittlerweile zwar ihre Wirkung, aber auf dem Land glauben immer noch viele Menschen, dass Ebola-Kranke von Hexen oder bösen Geistern verflucht sind. Die Zahl der Straßenkinder ist deshalb sprunghaft angestiegen. Die meisten von ihnen sind mangelernährt, haben ein geschwächtes Immunsystem und sind deshalb besonders gefährdet, sich mit Ebola, aber auch Malaria oder Typhus anzustecken.

Viele Familien können sich einen zusätzlichen Esser nicht leisten

Weil das liberianische Gesundheitssystem bereits vor Ausbruch der Ebola vollkommen überfordert war, hat die Regierung von Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson-Sirleaf jetzt die seit 33 Jahren in Liberia tätigen SOS-Kinderdörfer gebeten, bei der Betreuung der Waisen zu helfen. In Brewerville, 15 Kilometer nördlich von Monrovia, hat die Hilfsorganisation deshalb ein Haus für die Unterbringung von bis zu 25 Kindern, die Kontakt mit Ebola-Infizierten hatten, gemietet. Während der dreiwöchigen Inkubationszeit werden sie dort psychologisch und medizinisch betreut. Zeigen die Jungen und Mädchen nach 21 Tagen keine Krankheitsanzeichen, bemüht das Kinderdorf sich, sie bei ihren Familien oder Pflegeeltern unterzubringen.

Trotz Unterstützung durch das Internationale Rote Kreuz wird dies nicht immer gelingen. Denn auch wenn Ebola-Überlebende nicht ansteckend sind, sind sie stigmatisiert. Selbst enge Verwandte haben im wahrsten Sinn des Wortes Berührungsängste. Hinzu kommt, dass in Folge der Epidemie die Lebensmittelpreise stark gestiegen sind und viele der oft kinderreichen Familien sich einen weiteren Esser einfach nicht leisten können. Diejenigen, für die keine Pflegefamilie gefunden wird, sollen in einem der beiden SOS-Kinderdörfer in Liberia ein neues Zuhause finden. Bis zu 80 Kinder sollen dort in den nächsten Monaten aufgenommen werden.

Für die Einrichtungen ist der Ebola-Ausbruch damit die größte Herausforderung seit dem Ende des Bürgerkrieges vor elf Jahren. "Damals wie heute sind viele Eltern gestorben und haben viele Waisen hinterlassen. Insofern ist die heutige Situation durchaus mit der Situation während des Krieges vergleichbar. Andererseits wusste man damals ziemlich genau, wer der Feind ist und ungefähr, wann und wo mit Angriffen zu rechnen ist. Bei Ebola hingegen weiß man nicht, wer der Feind ist. Es gibt keinen Frontverlauf und keinen Waffenstillstand", sagt George Kordahi.

Weltbank rechnet mit Milliardenschäden

Die ohnehin labilen Gesundheitssysteme der von Ebola heimgesuchten westafrikanischen Länder sind praktisch zusammengebrochen, die Weltbank rechnet aufgrund der Ebola-Epidemie mit Milliardenschäden für die betroffene Region. Auch das humanitäre Ausmaß der Katastrophe steht außer Frage, und doch reichen die internationalen Hilfsmaßnahmen bei weitem nicht. Der öffentliche Aufschrei angesichts des Leidens bleibt weitgehend aus, die Spendenbereitschaft ist eher verhalten. Das Charity-Projekt "Band Aid" um die Sänger Bob Geldof und Campino erntete in den vergangengen Wochen teils sogar offene Häme.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die EU und der Ebola-Beauftragte der Bundesregierung, Walter Lindner, räumen ein, dass die Krise unterschätzt wurde. Zwar hätten die Ebola-Spenden zuletzt leicht angezogen, berichtet der Sprecher des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Dieter Schütz. Im Vergleich zu Naturkatastrophen sei die Bereitschaft zum Spenden jedoch verhalten. Allein für die Hilfe nach dem Taifun Haiyan auf den Philippinen seien 2013 rund 16 Millionen Euro gespendet worden - für Ebola gebe es bislang 1,1 Millionen Euro. "Offenkundig ist das Thema Ebola sehr mit Angst verbunden", sagt Schütz. Auch Caritas international berichtet über eine eher verhaltene Spendenbereitschaft. Bei dem katholischen Hilfswerk sind rund eine halbe Million Euro an Spenden für die Ebola-Krise eingegangen. "Der Trend ist positiv", sagt Caritas-Sprecher Achim Reinke. Aber für die Arbeit in den betroffenen Gebieten reiche es nicht.

Mittlerweile ist Liberias Nachbarland Sierra Leone das Land mit den meisten Ebola-Kranken und -Toten. In Liberia geht die Zahl der Neuinfektionen inzwischen zurück. Um die Ansteckungsgefahr so gering wie möglich zu halten, dürfen Kinder und Betreuerinnen die mit einer hohen, stacheldrahtbewehrten Mauer umgebenen SOS-Kinderdörfer dennoch kaum verlassen.

Auch im vom Kinderdorf betriebenen Krankenhaus, das viele infizierte Patienten an spezielle Ebola-Behandlungszentren überwies und als einzige rund um die Uhr geöffnete Gesundheitsstation in Monrovia dazu beitrug, die medizinische Versorgung aufrecht zu erhalten, gelten strenge Sicherheitsvorkehrungen. "Alle Mitarbeiter, die direkten Kontakt mit Patienten haben, tragen Schutzanzüge. Solange das Gegenteil nicht bewiesen ist, behandeln wir jeden zunächst so, als hätte er Ebola", sagt die 37-jährige Quendi Appleton, die selbst im SOS-Kinderdorf in Monrovia aufwuchs und mittlerweile Verwaltungschefin der Klinik ist.

Trotz der strengen Vorkehrungen starb eine Krankenschwester an Ebola. Sie hatte sich angesteckt, als sie ihren erkrankten Schwager zu Hause pflegte. Das Gesundheitszentrum musste daraufhin für neun Tage geschlossen und komplett desinfiziert werden. Auch eine SOS-Kindermutter starb an Ebola, nachdem sie sich beim Besuch ihrer leiblichen Tochter angesteckt hatte. "Für die sieben von Mama Pannah betreuten Kinder war es ein ungeheurer Schock. Sie wurden innerhalb kürzester Zeit zum zweiten Mal Waisen", berichtet Kinderdorf-Direktor Kordahi.

(RP)
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