Gastbeitrag zum Tag der Menschenrechte Friedensnobelpreis garantiert keine Menschenrechte

Meinung | Düsseldorf · Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kritisiert, dass der Friedensnobelpreis nicht aberkannt wird, wenn Preisträger sich nicht mehr preiswürdig verhalten. Am Tag der Menschenrechte fordert sie eine nachhaltigere Vergabe der hohen Auszeichnung.

 Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP), Bundesjustizministerin a. D.

Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP), Bundesjustizministerin a. D.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Am 10. Dezember ist der Tag der Menschenrechte. Ein Grund zum Feiern? Leider nicht. Denn die Menschenrechte haben weltweit keine Konjunktur. Das betrifft nicht nur die ewigen Diktaturen in China, Eritrea oder Nordkorea. Im Zuge der globalen Corona-Pandemie werden Menschenrechte auf allen Kontinenten systematisch untergraben und missachtet. Auch in Europa verschlechtert sich die Menschenrechtssituation zunehmend. Der in der westlichen Welt lange vorherrschende Konsens, dass der Schutz der Menschenrechte die Demokratie und Gesellschaft stärkt, zeigt Zerfallserscheinungen. Die Europäische Union hat es aufgrund der Blockadehaltung der polnischen und ungarischen Regierung bis heute nicht geschafft, einen simplen Rechtsstaatsmechanismus in ihre Haushaltsplanung zu integrieren. Dass Ungarn und Polen Teil der europäischen Staatengemeinschaft sind, die sich in ihrem Gründungsvertrag zu den Grundsätzen der Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bekennt, muss man sich angesichts solcher Entwicklungen immer wieder in Erinnerung rufen.

Vor acht Jahren erhielt die Europäische Union für die Förderung eben jener Grundsätze den Friedensnobelpreis. Das Nobelkomitee pries damals den „erfolgreichen Kampf für Frieden und Versöhnung und für Demokratie sowie die Menschenrechte“, den die EU und ihre Vorgängerorganisationen über Jahrzehnte geführt haben. Die Verleihung, so berechtigt sie war und ist, zeigt angesichts der aktuellen Entwicklungen: Der Friedensnobelpreis ist immer nur eine Momentaufnahme im langen Kampf um die Menschenrechte. Dass die renommierte Auszeichnung am gleichen Tag verliehen wird, an dem wir die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte feiern, führt dazu, dass der Tag der Menschenrechte nur ein mediales Schattendasein führt. Noch bedauernswerter ist die Rolle der Menschenrechte bei der eigentlichen Vergabe des Friedensnobelpreises: Sie scheinen kein nachhaltiges Entscheidungskriterium zu sein.

Wie sonst ist es zu erklären, dass sich die myanmarische Politikerin Aung San Suu Kyi noch immer Friedensnobelpreisträgerin nennen darf, obwohl sie jahrelang nichts gegen die Feindseligkeiten gegen die muslimische Minderheit der Rohingya getan hat? Warum wird nicht darüber diskutiert, ob sich der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed nach dem Einmarsch äthiopischer Truppen in die Provinz Tigray zu Recht auf den Friedensnobelpreis berufen darf? Eine Aberkennung des Preises wird grundsätzlich nicht in Erwägung gezogen. Auf die massiven Menschenrechtsverstöße in Myanmar angesprochen, erklärte der Chef des Nobel-Institutes lediglich, dass nur die vor der Verleihung eines Nobelpreises erbrachten Leistungen vom Komitee bewertet werden. Alle später erfolgten Handlungen der Preisträger hätten daher keinen Einfluss. Die Regierung Myanmars wird inzwischen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag begeklagt. Das Verfahren wird im Januar fortgesetzt.

Das Nobelpreiskomitee kann zwar nicht vorhersehen, wie sich eine Person, Organisation oder Institution entwickelt, die den Preis erhält – aber sollte nicht gerade deshalb das Nobelkomitee darüber nachdenken, neue Standards bei der Wahl ihrer Preisträger zu entwickeln, um mehr Nachhaltigkeit zu entfalten?

Zu oft wird Kritik an der Entscheidung laut, weil die Erwählten nicht nachhaltig zum Schutz der Menschenrechte beitragen. Wenn die erklärten Freiheitskämpfer schließlich eine Politik verfolgen, die den Statuten des Nobelpreises widerspricht, schadet das nicht nur dem Renommee der Auszeichnung, sondern auch dem allgemeinen Kampf für die Menschenrechte. Der 10. Dezember ist auch ein Auftrag, die Menschenrechtsbilanz der Friedensnobelpreisträger und staatliche Organisationen kritisch zu prüfen – und all jene zu stärken, die sich gegen die Menschenrechtsverletzungen früherer Friedensstifter wenden.

Statt also die gesamte Aufmerksamkeit einem einzelnen Akteur zukommen zu lassen, sollte der Internationale Tag der Menschenrechte eine ganz neue Stellung in der öffentlichen Wahrnehmung erhalten. Die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor 72 Jahren ist bis heute die größte rechtsstaatliche Leistung der internationalen Gemeinschaft. Jeder Mensch, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe, Religion und sozialem Status hat unveräußerliche und universell gültige Grundrechte, die jedes nationale Recht überwiegen. Ob in Honduras, Russland, Kambodscha oder Tansania: Überall auf der Welt kämpfen Menschen unter der Androhung von Gewalt, Folter oder dem Tod für diese Rechte und ihre individuelle Freiheit. Daran sollten wir heute erinnern und nicht nur das völlig zurecht mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen feiern.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Bundesjustizministerin a. D.

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