Letzter Ausweg Europa

Die Euro-Rettung ist für Merkel das, was für Helmut Kohl die Einheit und für Gerhard Schröder die Agenda 2010 war. Daran entscheidet sich, ob ihre Kanzlerschaft scheitert. Hat sie ein Konzept?

Berlin Angela Merkel (CDU) ist auf dem Zenit ihrer Kanzlerschaft angekommen. Das Schicksal Deutschlands und Europas hängt davon ab, ob sie die richtigen Rezepte zur Euro-Rettung hat. Aber auch ihre eigene Kanzlerschaft steht und fällt damit, ob und wie sie die Krise meistert. Zu ihrem Unglück trifft sie dabei auf einen unauflöslichen Widerspruch zwischen ihrer Überzeugung, was zu tun ist, und der Notwendigkeit, die Menschen mitzunehmen. Es ist die Herausforderung, für dezentes Agieren eine donnernd-mitreißende Begründung zu finden. Große emotionale Entwürfe können Völker zu gewaltigen Anstrengungen bringen. Auch die Aussicht, mit einem Paukenschlag alle Sorgen los zu sein, lässt Gesellschaften zusammenstehen und ihre Leidensfähigkeit steigern. Wer hingegen Konfusion, Widerstand und Chaos haben will, der sollte die Fortschritte in kaum wahrnehmbare Einzelschritte zerlegen und jede Richtung vermissen lassen. So wie Merkel in den vergangenen zwei Jahren ihrer Kanzlerschaft.

Insofern rächt sich nun in der Euro-Krise, dass Merkel nach dem klaren Wahlsieg für ihre christlich-liberale Traumkoalition 2009 keine klaren Pflöcke einschlug, sondern ihre Politik für Monate auf Stand-by schaltete. Die von ihr geweckten Erwartungen in eine zupackende bürgerliche Politik enttäuschte sie. Und nach der Quittung in Form des NRW-Machtverlustes in Düsseldorf versäumte sie es, Schwarz-Gelb mit einem zentralen Projekt auszustatten.

Angesichts der beispiellosen Währungsturbulenzen mit bereits am Wahlabend nötigen Beschlüssen mit Milliarden-Tragweite ist das zwar zu entschuldigen, aber es erklärt auch, warum Union und FDP so lange fremdelten und bis heute noch nicht zu einer Wähler gewinnenden Koalitions-Identität gefunden haben.

Damit zusammenhängend und das Phänomen verschärfend begann die FDP mit einem Prozess der Selbstzerlegung, der die Liberalen in den Abgrund der Bedeutungslosigkeit blicken lässt. Das grenzt Merkels Handlungsspielraum ein und vergrößert zugleich die Anforderungen an ihre Politik. Sie wird die Positionen der FDP auch bei ihrem Euro-Konzept nicht mehr beiseiteschieben können. Sie muss im Gegenteil nachweisen, dass es die einzeln wahrnehmbaren Ideen von CDU, CSU und FDP sind, die gegen die Vorstellungen von SPD, Grünen und Linken Europa aus der Krise führen.

Noch wichtiger ist, die Öffentlichkeit zu gewinnen. Hier steht sie mit dem Rücken zur Wand, seit sie in der Atompolitik mit der Abfolge von Laufzeitverlängerung und Laufzeitverkürzung geradezu den Beweis erbrachte, kein Gefühl für über den Tag richtige Vorgaben zu haben.

Es war für die Opposition ein Leichtes, genau diesen Vorwurf auch für Merkels Euro-Politik zu verstärken. Fast alles, was SPD und Grüne forderten oder vorhersagten, Merkel aber zunächst ablehnte oder abstritt, vollzog sie später nach. Die immer schneller getaktete Abfolge von Interviews, öffentlichen Reden und Auftritten, wie heute in der Generalaussprache im Bundestag, zeigt, dass sie genau spürt, wie sehr es jetzt darauf ankommt, Zweifel, Befürchtungen und Widerstände mit Argumenten zu zerstreuen.

Nach ihrem Eindruck tut sie das mit Leidenschaft. Aber das kommt nicht rüber. Nicht optisch, nicht emotional. Man betrachte nur einmal Ursula von der Leyens offensiv ausgebreitete Arme und glänzenden Augen, wenn sie von den "Vereinigten Staaten von Europa" als dem eigentlichen Ziel schwärmt – und im Gegenzug dazu Merkels nach unten zum defensiven Dreieck gefaltete Hände und ziellos suchende Augen, wenn sie genau diesen Politikentwurf ablehnt.

Dabei weiß sie in puncto EU-Zukunft selbst am besten, dass es ohne den Einbau von Klage und Sanktion gegen Schuldenverschwendung in die EU-Verträge auf Dauer nicht funktioniert. Geht sie aber zu radikal zu Werke, provoziert sie eine Serie von Referenden, in denen die wachsende Zahl von EU-Gegnern die Völker in eine Anti-Europa-Stimmung peitschen können. Dann ist nichts gewonnen, aber viel verloren. Jedes hektische Umschwenken steht bei der Kanzlerin auf dem Index, weil sie niemanden verschrecken will, die Milliarden verbrennenden Märkte schon gar nicht. Gleichzeitig will sie den Druck auf die Schuldenländer aufrecht erhalten. Zudem kann jeder Schritt sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben. Ihr Bestehen auf Gläubigerbeteiligung hat Steuerzahler und Abgeordnete beruhigt, aber die Schieflage von Banken verschärft. Nach ihrer Einschätzung würde auch die schnelle Einführung der Eurobonds nicht nur die Rettungsschirme entlasten, sondern auch die Krisenstaaten verleiten, von schmerzhaften Einschnitten abzusehen.

Das alles macht nicht beliebt. Langfristig hat die Achtung der Wähler aber auch damit zu tun, dass politische Führer Überzeugungen statt Stimmungen folgen. Die Standfestigkeit von Helmut Schmidt (SPD) wird heute mit seinem Eintreten für die Nachrüstung, die von Gerhard Schröder (SPD) mit dem Durchboxen seiner Agenda 2010 verbunden. Beides führte diese Kanzler damals aber in den Machtverlust.

Gleichwohl ist der Euro für Merkel das, was die Einheit für Helmut Kohl (CDU) wurde: Das Rendezvous mit dem Mantel der Geschichte. Ob als Heldin oder Gescheiterte, das hat auch sie in der Hand.

(RP)
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