Aszüge der Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS "leibende Schuld der SED"

Berlin (rpo). SPD und PDS einigten sich in Berlin auf eine Präambel, die als Grundlage der Kolitionsvereinbarungen fungiert. Nachstehend Wortlaut- Auszüge:

´Zu Beginn des 21. Jahrhunderts muss die Berliner Politik die großen Zukunftschancen ergreifen, die aus der 1990 wieder gewonnenen Einheit der Stadt in Freiheit und ihrer neuen Rolle als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland erwachsen sind.... Die Koalition unterstreicht ihre Absicht, Politik für das ganze Berlin zu gestalten.... SPD und PDS sehen sich in der Verantwortung, nach der Herstellung der staatlichen Einheit die innere Einheit Berlins weiter zu gestalten.

Um Berlin auf Dauer attraktiv zu machen, sieht die Koalition in den kommenden Jahren ihre herausragende Aufgabe darin, zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen und Investitionen nach Berlin zu holen.... Die Koalition wird ihre Anstrengungen vor allem auf dieses Ziel konzentrieren....

Eine Politik für die Einheit Berlins kann nur erfolgreich sein, wenn sie die Geschichte der Stadt im Alltagsleben der Menschen wach hält und sich ihrer historischen Verantwortung bewusst bleibt.... Die Koalition weiß sich den Lehren aus der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur verpflichtet. Sie wird sich jedem Vorstoß von Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Terrorismus entschlossen und aktiv entgegenstellen. Sie wird das Andenken der Opfer der nationalsozialistischen Diktatur stets in Ehren halten.

Zwölf Jahre nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit bilden SPD und PDS in Berlin eine Koalition, wissend um die zahlreichen Belastungen und Schicksale aus der Zeit der Teilung der Stadt, deren Gründe und Folgen jede Politik für Berlin zu berücksichtigen hat. Vielen Menschen in Ost und West ist die leidvolle Teilung bis heute in schrecklicher Erinnerung. Die 1961 von den Machthabern der DDR und der Sowjetunion errichtete Mauer vollendete und zementierte die Teilung und die Einordnung der Stadthälften in politisch gegensätzliche Systeme.

Die Berliner Mauer wurde aber nicht nur weltweit zum Symbol der Blockkonfrontation und des Kalten Krieges, sondern vor allem zu einem Symbol für Totalitarismus und Menschenverachtung. Die Schüsse an der Berliner Mauer haben schweres Leid und Tod über viele Menschen gebracht.

Sie waren Ausdruck eines Regimes, das zur eigenen Machtsicherung sogar das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit missachtete. Die Mauer durch Berlin, das unmenschliche Grenzregime mitten in Deutschland haben Familien und Freunde auseinander gerissen. Wenn auch der Kalte Krieg von beiden Seiten geführt wurde, die Verantwortung für dieses Leid lag ausschließlich bei den Machthabern in Ost-Berlin und Moskau.

Wenn SPD und PDS jetzt eine Koalition eingehen, so sind sie sich der Verantwortung bewusst, die mit diesem Schritt verbunden ist. Die Erfahrung des Sieges des Faschismus über die gespaltene Arbeiterbewegung führte in Teilen der Mitgliedschaft von SPD und KPD nach 1945 zum Wunsch nach Vereinigung. Dieser Wunsch wurde missbraucht zu einer Zwangsvereinigung, ohne freie Entscheidung insbesondere der Mitglieder der SPD, die sich im Westteil der Stadt in einer Urabstimmung gegen die Vereinigung aussprachen und die im Ostteil an der freien Abstimmung gehindert wurden.

Von vornherein beabsichtigte die KPD-Führung, nach der Vereinigung alles sozialdemokratische Gedankengut aus der SED zu verbannen. Für die Verfolgung von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten und anderen Teilen der demokratischen Opposition, für deren Inhaftierung unter menschenunwürdigen Bedingungen bis hin zum Tod und für die Hinrichtungen anders Denkender trägt die SED eine bleibende Schuld.

Zusammen mit den damaligen Entscheidungsträgern in der Sowjetunion ist sie verantwortlich für die gewaltsame Niederschlagung des Volksaufstandes in der DDR am 17. Juni 1953, den Mauerbau und zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, mithin für das Fehlen grundlegender demokratischer und Freiheitsrechte in der DDR. Vor diesem Hintergrund sieht die Koalition ein großes historisches Verdienst darin, dass sich die Ostdeutschen aus dieser Unterdrückung selbst befreit haben.

Die Distanzierung der PDS von den Unrechtstaten der SED und dem Mauerbau waren wichtige Schritte zur Aufarbeitung der unheilvollen Geschichte der SED. Es waren wichtige Schritte im Prozess der notwendigen Erneuerung der PDS. SPD und PDS bekennen sich im Wissen um das Trennende aus der Geschichte dazu, dass die Vergangenheit nicht auf Dauer die Zukunft beherrschen darf. Dies kann aber nur gelingen, wenn nicht verdrängt und vertuscht wird.

Der offene Umgang mit den Verbrechen an der Demokratie und den individuellen Rechten, die Übernahme von Verantwortung sowie der Respekt vor den Opfern sowie die Bewahrung ihres Andenkens sind Voraussetzungen für Versöhnung und innere Einheit. Sie sind auch Voraussetzungen dieser Koalition....

Die prekäre Haushaltslage drückt Berlin an den Rand der politischen Handlungsfähigkeit.... Die Isolierung des einst größten Wirtschaftsstandorts in Deutschland hat im Westteil der Stadt nach dem Krieg, im Ostteil nach dem Zusammenbruch der RGW-Staaten zu massiver Deindustrialisierung geführt. Hinzu kam eine massive Subventionierung beider Stadthälften, die nach der Einheit entfiel. Das Tempo ihres Abbaus durch die damalige Bundesregierung war unverantwortlich und ist bis heute eine schwere Hypothek für die Stadt....

Die Bewältigung der Haushaltsprobleme hat die erste Priorität in der Koalitionspolitik.... Der Haushalt (muss) strukturell in Ordnung gebracht werden. Dies wird zwei Legislaturperioden in Anspruch nehmen. Die Koalition will die Nettoneuverschuldung bis zum Jahr 2009 auf Null reduzieren. Auch wenn das erreicht wird, wird die Zinslast jährlich über 2,8 Milliarden Euro - mehr als ein Viertel der prognostizierten Steuereinnahmen - beanspruchen, Finanzmittel, die nicht für Investitionen zur Verfügung stehen....

Die Misere der öffentlichen Finanzen erzwingt die grundlegende Reform der staatlichen und städtischen Strukturen....Wir wollen den Prozess der Senkung der Personalkosten sozial verträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen gestalten....

Die Koalition wirbt um die Solidarität des Bundes und der Länder, die Stadt bei dieser Aufgabe zu unterstützen und ihr die Wahrnehmung der Hauptstadtfunktion im Interesse aller Regionen und der Bundesrepublik als ganzem zu ermöglichen. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Wir wissen um die besondere Verpflichtung Berlins gegenüber dem Bund und zu bundesfreundlichem Verhalten.... Für die grundlegende Konsolidierung des Haushaltes und für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit Berlins stellt diese Koalition Weichen, die weit über die Wahlperiode hinausweisen."

(RPO Archiv)
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