Geradewegs durch die Mitte Kurs aufs Kanzleramt

Berlin · SPD-Chef Sigmar Gabriel muss sich etwas einfallen lassen, um den Genossen bei der nächsten Wahl den Weg an die Regierungsspitze zu ebnen. Allein mit einer Charmeoffensive für die Wirtschaft dürfte das nicht klappen.

Eine Volkspartei ist kein Schnellboot, sie ist ein Tanker. Es dauert eine Weile, bis ein solcher Koloss umgeschwenkt ist, bis auch jeder Matrose den neuen Kurs verstanden hat. Nach knapp fünf Jahren an der SPD-Spitze dürfte Sigmar Gabriel nun die Eigenschaften seiner Partei besser kennen denn je - und reißt das Ruder in diesen Wochen herum: Wirtschaftsfreundlicher sollen die Genossen sich geben, die erwerbstätigen Menschen in den Blick ihrer Politik nehmen, junge Familien bei ihren wahren Bedürfnissen abholen. Der neue SPD-Kurs führt also weg von links, geradewegs durch die Mitte, und nimmt das Kanzleramt zum Ziel.

Denn Gabriel steckt mit den Sozialdemokraten im Jammertal der Meinungsumfragen. Seit der vergangenen Bundestagswahl ist die SPD nie über Werte von 27 Prozent hinausgekommen - das sind noch nicht einmal zwei Prozentpunkte über dem schlechten Wahlergebnis von 25,7 Prozent. Will Gabriel die SPD aber nach der Bundestagswahl 2017 in stabilen Verhältnissen regieren lassen, muss die Partei spätestens dann Werte deutlich jenseits der aktuellen Marke erreichen.

Doch bisher reagieren die Menschen nicht so wie gewünscht auf die rasante Umsetzung sozialpolitischer Versprechen wie des Mindestlohns und der Rente mit 63. Zudem scheinen diese Themen die Mitte der Gesellschaft auch kaum anzurühren. In der SPD wächst also der Druck auf Steuermann Gabriel.

Genossen wie der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil geben zu bedenken, dass die Mitte der Gesellschaft wie berufstätige Eltern sich über die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes, über Mietpreissteigerungen, die Qualität der Kindertagesbetreuung und das ausgeglichene Verhältnis zwischen Arbeits- und Berufsleben deutlich mehr Gedanken machen dürften als über den Mindestlohn.

Und so nutzt Gabriel sein nicht zufällig gewähltes Amt als Wirtschaftsminister, um den Unternehmern von der linken Seite die Hand zu reichen. Gestern setzte er etwa einen Beirat für mehr Investitionen privaten Kapitals in öffentliche Infrastrukturprojekte ein. Mit dabei: Die Spitzenvertreter der deutschen Finanzindustrie, deren Branche Gabriel im Wahlkampf noch als Abzocker beschimpft hatte.

Die Wirtschaftsbosse dürften das Spiel des Vizekanzlers jedoch längst durchschaut haben und sehr genau darauf achten, was für sie am Ende herausspringt. Denn weder mit der Steuerpolitik (mögliche Novellierung der bisher wirtschaftsfreundlichen Erbschaftsteuer) noch mit der Arbeitsmarktpolitik (Mindestlohn und Frauenquote) wird Gabriel bei Unternehmern einen Blumentopf gewinnen können.

Vielversprechender, auch aus Wirtschaftssicht, dürften da schon die familien- und digitalpolitischen Ziele der Sozialdemokraten sein. Schafft es Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) zum Beispiel, nicht nur die Anzahl der Betreuungsplätze für Kinder, sondern auch die Qualität der Angebote merklich zu erhöhen, wird das mehr Mütter vom Einstieg oder der Rückkehr in den Beruf überzeugen - Arbeitgeber würden profitieren.

Außerdem muss es den Genossen gelingen, glaubhafte Antworten auf Fragen der vernetzten Gesellschaft zu geben: Welche Rolle spielen Arbeiter, wenn Maschinen nur untereinander kommunizieren ("Industrie 4.0")? Was passiert mit der Psyche, wenn Arbeitnehmer dank digitaler Technik immer erreichbar sind? Welche Gestalt nimmt Bildung von Schulkindern an, wenn digitale Medien die Klassenzimmer dominieren? Heute gründet sich ein SPD-Programmbeirat zum "digitalen Leben", beim Parteitag 2015 sollen die bis dahin erarbeiteten Vorschläge einen Tag lang diskutiert werden.

Und 2017 wird der Wähler wohl auch mit Blick auf diese Antworten entscheiden, ob Gabriels SPD-Tanker tatsächlich sein angepeiltes Ziel erreichen soll.

(jd)
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