Berlin Künast kommt an Wowereit nicht heran

Berlin · In vier Wochen wird das Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. Im Wahlkampf hat Bürgermeister Klaus Wowereit die Nase vorn: Seine Charme-Offensive zieht, während die Grünen aus dem Tritt geraten sind. Die CDU hofft, aus klarer Positionierung gegen die Auto-Brandanschläge Profit zu ziehen.

Eine alte Dame am Krückstock steuert auf Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit zu. Der bleibt lächelnd stehen, beugt sich herunter und hört zu. "Ach ja", sagt er mitfühlend, "da bei der Rente haben die ihre Formel, dann gibt es mal ein Prozent mehr, und das war's." Der SPD-Mann beherrscht die Kunst, seinen Bürgern zuzuhören, sich mit ihnen zu verbünden, am Ende aber für echte Probleme nicht persönlich verantwortlich gemacht zu werden.

Am 18. September wird in Berlin ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Im Wahlkampf sind diese Eigenschaften der Schlager. Insbesondere Frauen ab etwa 50 Jahren stehen Schlange, um von ihm mit einer Rose beschenkt zu werden. Mit seiner Charme-Offensive ist es Wowereit gelungen, seiner schärfsten Konkurrentin, der Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Renate Künast, weit davonzuziehen: Nach einer Wahlumfrage von Infratest Dimap kommt die SPD aktuell auf 31 Prozent, die Grünen liegen bei 22 Prozent.

Noch vor einem Jahr hatte Künast die Nase vorn. Dann lief es bei der burschikosen Spitzenpolitikerin aber nicht mehr rund. Sie verärgerte die wirtschaftsnahe Klientel, die mit einer möglichen grün-schwarzen Koalition sympathisierte, mit Forderungen nach Tempo 30 in Berlin und verwirrenden Aussagen zum Bau des Großflughafens Berlin-Brandenburg. Intern gerieten die Grünen aus dem Tritt, als Künast ihren Wahlkampfmanager entlassen musste. Der war betrunken am Steuer erwischt worden und soll danach die Polizeibeamten attackiert haben.

Künast gibt bislang aber nichts verloren. "Ich bin Fischer-Schule. Es wird gekämpft bis zum letzten Tag", sagte sie gestern. Derweil ist ihr Konkurrent Wowereit im Kiez unterwegs und wirft seine Netze nach Wählern aus. Beim Sommerfest des Arbeiterwohlfahrt-Pflegeheims in Neukölln lässt er sich zunächst von Berlins berühmtestem Bezirksbürgermeister, dem Neuköllner Heinz Buschkowsky (SPD), veräppeln und verrät dann, dass seine Oma ihre letzten Lebensjahre in diesem Heim verbracht hat. Schließlich stimmt die eigens für das Fest angeheuerte Sängerin den alten Schlager von den Capri-Fischern an. Das wärmt die Gemüter. Wowereit punktet auch damit, dass er waschechter Berliner ist.

Trotz seines aktuell komfortablen Vorsprungs gibt er sich nicht allzu siegesgewiss: Stimmungen können sich schnell drehen. In Berlin brennen zurzeit in jeder Nacht Autos. Nacht für Nacht gehen etwa ein Dutzend Fahrzeuge in Flammen auf. Die Brandstifterei findet auch in anderen Teilen Deutschlands Nachahmer – in Köln brannten in der Nacht zu gestern drei Wagen.

Sollte sich die Berliner Randale in der heißen Wahlkampfphase fortsetzen, könnte sie der SPD noch gefährlich werden. Bisher gelingt es Wowereit, auch bei diesem Thema die Verantwortung von sich zu schieben und darauf zu verweisen, dass es nicht möglich sei, jede Nacht 1,2 Millionen Autos zu überwachen. Aber die CDU wittert Morgenluft. Spitzenkandidat Frank Henkel, dessen Partei wie die Grünen in der Wählergunst bei 22 Prozent liegt, kritisierte die Sparmaßnahmen bei der Polizei und will nun Bilder verkohlter Autos im Wahlkampf plakatieren. Künast verurteilte das Vorhaben prompt als "unanständig".

In Berlin kämpft munter jeder gegen jeden. Es gibt keine klare Lagerbildung. Nach den bisherigen Umfragen könnte Wowereit seine rot-rote Koalition fortsetzen, was für ihn vermutlich das Bequemste wäre. Allerdings gilt das Bündnis in Berlin nach zwei Wahlperioden als ein wenig angestaubt. Von einer Koalition mit den Grünen würde eher ein Aufbruchsignal für die Metropole ausgehen. Seiner Bundespartei, deren Vizechef Wowereit immerhin ist, würde er mit Rot-Grün auch helfen: Die SPD auf Bundesebene hofft, dass sich bis zur Bundestagswahl 2013 ein rot-grüner Trend in Deutschland durchsetzt.

Dem Regierenden Bürgermeister behagen die Grünen nicht so recht. "Wer nicht für einen Fortschritt bei der Infrastruktur ist und wer nicht ein klares Bekenntnis zum Flughafen abgibt, kann nicht mit uns regieren", sagt Wowereit bei einer Wahlkampfveranstaltung vor Vertretern von Wirtschaft und Wissenschaft. Mit Tempo 30 passen diese Forderungen nicht zusammen.

Eine Koalition mit den Christdemokraten hat Wowereit auch nicht ausgeschlossen. Sie gilt aber als eher unwahrscheinlich. Für ein schwarz-grünes oder ein grün-schwarzes Bündnis reicht es nach den aktuellen Umfragen nicht. Künast steht einer solchen Koalition unter ihrer Führung aber aufgeschlossen gegenüber. Gestern leistete sie sich einen hübschen Versprecher. Sie sagte: "Die meisten Gemeinsamkeiten haben wir mit der CD... – äh, SPD."

(RP)
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