Beziehung zu den USA Kuba hofft auf den Klassenfeind von gestern

Santiago · Auf Kuba knüpfen sich die unterschiedlichsten Erwartungen an das Ende des Kalten Krieges mit den USA, die realistischsten mit den neuen Reisemöglichkeiten für US-Amerikaner. Bisher konnten sie nur über Drittländer wie Mexiko oder Kanada einreisen.

 Mit ihren kleinen Verkaufskarren, den "Carritos", ziehen die Straßenhändler durch Santiago de Cuba und verkaufen alles, was sich damit transportieren lässt: Obst und Gemüse, Brot, Batterien, Reinigungsmittel. Einer von vielen Wegen, sich im armen Kuba finanziell durchzuschlagen.

Mit ihren kleinen Verkaufskarren, den "Carritos", ziehen die Straßenhändler durch Santiago de Cuba und verkaufen alles, was sich damit transportieren lässt: Obst und Gemüse, Brot, Batterien, Reinigungsmittel. Einer von vielen Wegen, sich im armen Kuba finanziell durchzuschlagen.

Foto: Elsemann

Auf Kuba wird gewerkelt. Wer ein Haus hat und Zimmer vermieten kann, baut seine Kapazitäten aus, auch in Santiago de Cuba, der im Osten der Insel gelegenen und nach Havanna zweitgrößten Stadt Kubas. Aufbruchstimmung macht sich breit. Luisito Felix Reinosa und "Cuqui" Ramirez Gonzalez erwarten einen Ansturm von Touristen, jetzt, seitdem die US-Amerikaner frei auf die bislang verbotene Karibikinsel reisen dürfen.

Santiago, die malerisch über viele Hügel verteilte, aber vor zwei Jahren vom Hurrikan "Sandy" gebeutelte Stadt, konnte bisher vom etablierten Tourismus aus Europa und Kanada nur wenig profitieren. Dafür liegt sie zu weit von der Metropole Havanna, hat zu wenige und schlecht gepflegte Strände. Auch fehlen komfortable Hotels.

Jetzt, zum 500. Stadtjubiläum, werden die Fassaden ein wenig poliert, eine Uferpromenade an der Bahia angelegt und einige alte Hotels restauriert. So hoffen auch Cuqui und Luisito, mit ihren Appartements vom erwarteten Geldsegen etwas abzubekommen. Ihre Gäste werden mit traumhaften Ausblicken über die Bucht und die ganze Stadt verwöhnt werden, sobald die Wohnungen fertig sind.

Ob es dazu kommt, ist jedoch fraglich. Denn auch Baumaterialien müssen in Devisen bezahlt werden, und bei den beiden - wie bei allen anderen in ihrer Situation - ist selten genug Geld in der Kasse, um einen Sack Zement oder ein paar Ziegelsteine zu kaufen. So geht es nur langsam voran,und es steht zu befürchten, dass nicht genügend Kapazitäten vorhanden sind, wenn es zu dem erwarteten Ansturm kommt. Auch negative Erwartungen verbinden sich mit dem neuen Tourismus.

"Das sind ja nicht alles harmlose Touristen, die ins Land kommen, auch Mafiosi und Spione", ahnt Cuqui. Also werde es "mehr Sicherheitskontrollen und mehr Polizei" in den Straßen geben. Noch mehr als bisher, wo die Kontrolle schon allgegenwärtig ist.

Doch wichtiger: Sie werden Geld ausgeben, die Amerikaner, für alles, was Touristen so brauchen, Unterkünfte, Essen, auch für Sex. Offiziell ist sie verboten, doch schon jetzt ist die Prostitution überall auf den Straßen Santiagos präsent - Folge der bitteren Armut. Das reguläre Monatsgehalt eines Kubaners beträgt in der Regel zehn Euro. Niemand kann davon leben, auch Cuqui nicht, der von Physiklehrer auf Gastronom umsatteln musste.

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Lisvet Danger kann mit ihrem Gehalt als Ärztin auskommen, wenn auch mit Ach und Krach. Sie hat bei ihrem Vollzeitjob keinen Spielraum für Nebenerwerb auf Devisenbasis. "Obama hat Mut gehabt, und die Situation wird sich verbessern, auch für mich." Die Blockadepolitik der USA habe nicht funktioniert, "wir haben gelitten, doch der Sozialismus wurde nicht gestürzt". Dass das politische System Kubas nun mit dem möglichen Ende des Embargos fallen könnte, glaubt sie nicht. "Die sozialen Gesetze und das Gesundheitssystem werden bleiben."

Guillermo Ferrer ist im Norden Santiagos aufgewachsen, in Marimon, einem Armenviertel. Die Häuser sind klein und oft mit Wellblech geflickt, die ungeteerten Straßen sind staubig und abends schlecht beleuchtet. Hierher verirrt sich kein Tourist, und falls doch, so wäre es gefährlich. 17 Jahre arbeitete Guillermo in einer Textilfabrik, jetzt betreibt er hier ein Stundenhotel für Einheimische - und verdient damit gutes Geld. Bei den vielfach beengten Wohnverhältnissen Santiagos ist der Raumbedarf für Schäferstündchen groß. Der Stundensatz fürs ungestörte Zusammensein beträgt hier umgerechnet einen Dollar. Und so kommt Guillermo auf rund 90 Dollar im Monat mit seinem Dienstleistungsangebot - doppelt so viel wie Lisvet Danger als Ärztin und neunmal mehr als ein Normalverdiener.

Der 52-Jährige erinnert sich gut an die 1980er-Jahre, als er noch eine Maschine in einer Textilfabrik bediente. Seinerzeit konnte man von zehn Euro monatlich ganz gut leben. "Es reichte für Essen, Schuhe, Hosen, und es blieb immer noch etwas übrig." Auch Guillermo begrüßt die neue Entwicklung im Verhältnis zu den USA. Touristen wird er nicht als Gäste beherbergen, doch er rechnet sich aus, dass auch er vom Wandel profitieren wird.

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Er denkt dabei an die große und vermögende kubanische Verwandtschaft in den USA. Mehr als eine Million Exilkubaner leben allein in Miami. Sie durften ihren Verwandten in Kuba bisher alle drei Monate 200 Dollar schicken, ab sofort sind es 2000 Dollar. Auf diesen und anderen Wegen unterstützen Exilkubaner ihre Familien mit mehr als zwei Milliarden Dollar jährlich.

Guillermos Rechnung ist einfach: Die Exilkubaner werden einfach zehnmal so viel Geld schicken wie bisher. Denn Kubaner helfen ihren Familien. 20 Milliarden statt zwei, das würde die gesamte Wirtschaft ankurbeln. Unterstützung, ob durch Verwandtschaft oder Staat - der Versorgungsgedanke ist nach 55 Jahren Sozialismus in den Köpfen fest verankert.

Dass die Exilkubaner am Ende nicht so spendabel sein könnten, dieser Gedanke ist Guillermo fremd. Weiter so wie bisher, nur etwas komfortabler, ist nicht nur seine Devise. Auch Luis Auld Heredia, ein Kunde von Guillermos Zimmerservice, ist überzeugt, dass die Exilkubaner mehr Geld schicken werden. Luis ist Hafeninspektor und denkt in größeren Zusammenhängen. Der 39-Jährige hat englische Literatur studiert. Sein Englisch braucht er täglich, um mit dem Personal auf den Containerschiffen zu reden und zu prüfen, ob mit den Waren alles in Ordnung ist. "Kuba ist ein jungfräuliches Land, was den Handel betrifft." Und so wünscht er für sein Land, dass bei den neuen Touristen auch Investoren dabei sind. "Mehr Augen sollen die kubanische Realität sehen und die Chancen erkennen."

Kuba wird sich entwickeln, doch schnell wird es nicht gehen. Die Aufbruchstimmung gilt nicht für alle. Fatalismus und Lethargie sind verbreitet - vor allem bei jüngeren Kubanern. "Was sollte sich für mich schon groß ändern?", fragt Rafaela Barrea Urrutia, eine Freundin von Guillermo.

Die 29-Jährige mit den müden Augen hatte vom Tauwetter zwischen den USA und Kuba noch gar nichts mitbekommen. Ihre Sorgen sind andere: keine Arbeit, ein Kind zu versorgen und einen Ehemann an der Seite, der ihr zwar ab und zu etwas Geld gibt, sie aber bei geringsten Anlässen schlägt.

Ihr Nachbar Leonel Portes Correoso findet auch einen Grund zur tristen Perspektive: "Wenn das Embargo fallen sollte", und dabei tippt er mit zwei Fingern auf seine Schulter, "stecken sich doch nur die Chefs das Geld ein." Der 25-jährige Riese ist mit den Sorgen der Menschen vertraut, denn seit einem Jahr betätigt er sich als Babalao, als Priester der Volksreligion Santeria.

"Im Leben der meisten wird sich so schnell nicht viel ändern", sagt auch Cuqui, der zuversichtlicher als die meisten von seiner Terrasse in die Bahia schauen kann. Der tägliche Rhythmus "a lo cubano" - Vertrauen auf andere, Abwarten und Durchwursteln in widrigen Lebensumständen - er wird bleiben.

(RP)
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