Neven Mimica "Kroatien ist Vorbild, nicht Problem"

Der neue Verbraucherkommissar verteidigt den EU-Beitritt seines Landes.

Neven Mimica: "Kroatien ist Vorbild, nicht Problem"
Foto: Picture Alliance

Herr Mimica, was erwarten die Kroaten vom Beitritt zur EU am 1. Juli?

Mimica Dass es ihnen besser gehen wird. Die Krise hat Kroatien hart getroffen. Das Land steckt im fünften Rezessionsjahr, die Arbeitslosigkeit ist auf 18 Prozent gestiegen. Um zurück auf den Wachstumspfad zu kommen, braucht Kroatien ausländische Investoren.

Auf der Rangliste der Konkurrenzfähigkeit des Weltwirtschaftsforums belegt Kroatien nur Platz 81 ...

Mimica Bisher hängt unsere Wirtschaft zu sehr am Konsum und leidet unter der De-Industrialisierung vergangener Jahre. Wir hoffen, dass die Rechtsstandards der EU-Mitgliedschaft, die Teilnahme am Binnenmarkt und die Milliardenhilfen aus Brüssel für die regionale Entwicklung Investoren anlocken. Die Analysten sind jedenfalls optimistisch und rechnen mit 0,5 bis 1,5 Prozent Wachstum für 2014.

Innerhalb der EU fürchten hingegen viele, sich ein neues Sorgenkind in die Familie zu holen.

Mimica Kroatien ist kein Problemfall. Unsere Banken sind stabiler als die Institute in vielen Euro-Ländern. Unser Haushaltsdefizit beträgt zwar noch 4,5 Prozent, doch in zwei Jahren werden wir die drei Prozent aus dem Euro-Stabilitätspakt einhalten. Kroatiens Schuldenstand liegt trotz eines Anstiegs noch unter den erlaubten 60 Prozent. Wir sind bestens auf den Beitritt vorbereitet.

Es gibt auch andere Probleme: Kroatien liegt im Korruptionsindex von Transparency International auf Rang 62, noch hinter Kuba.

Mimica Die Alltagskorruption ist als Erbe aus der Zeit des Kommunismus tief in der Mentalität der Menschen verankert. Da bekamen die Bürger nur mit Schmiergeld, was sie brauchten, egal ob beim Arzt oder auf dem Bauamt. Das zu ändern dauert, zumal lange der politische Wille fehlte, gegen Korruption zu kämpfen. Doch mittlerweile ist der Mentalitätswandel so gut wie geschafft, die rechtsstaatlichen Reformen sind unumkehrbar. Bestes Beispiel: Unser ehemaliger Premier Ivo Sanader wurde 2012 wegen Korruption zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Wie wollen Sie verhindern, dass der Reformeifer nach dem Beitritt ganz schnell erlahmt, so wie bei Rumänien und Bulgarien?

Mimica Die EU-Staaten haben aus Fehlern gelernt und für Kroatien strengere Regeln angewendet als bei früheren Aufnahmen. Bei der Osterweiterung etwa wurde erst nach dem Beitritt geprüft, ob die geforderten Reformen auch umgesetzt werden – bei uns war das die Voraussetzung für die Aufnahme.

Welchen Nutzen bringt Kroatiens Mitgliedschaft eigentlich der EU?

Mimica Kroatien hat Vorbildfunktion, kann eine wichtige Rolle bei der Europäisierung der Nachbarländer spielen. Der Balkan ist die einzige verbliebene instabile Region Europas und kann immer noch großes Störpotenzial entfalten. Ich bin überzeugt, dass ein schneller Beitritt der Westbalkan-Staaten zur EU die Region dauerhaft befrieden und stabilisieren würde.

350 000 Kroaten haben keinen Job. Haben Sie Sorge, dass viele junge Menschen nach dem Beitritt woanders Arbeit suchen?

Mimica Es wird Arbeitsmigranten geben, aber keine Massenauswanderung. Schon allein deshalb nicht, weil zehn EU-Staaten, darunter auch Deutschland, ihre Arbeitsmärkte für zwei Jahre für Kroaten weitgehend abschotten. Außerdem ist ein Großteil der Arbeitslosen gering qualifiziert und tut sich daher schwer, in anderen EU-Staaten einen Job zu finden.

Was sind Ihre Prioritäten als Verbraucherschutz-Kommissar?

Mimica Der jetzigen Kommission bleiben nur 16 Monate im Amt. Das ist kurz. Aber lang genug, um beizutragen, dass Verbraucher besser informiert werden und ihre Rechte einfacher durchsetzen können. Sie sollen Vertrauen in das Funktionieren des Binnenmarkts fassen, denn ihr Konsumverhalten spielt eine zentrale Rolle, um die EU aus der Rezession zu holen. Ich will greifbare Ergebnisse etwa bei der Produktsicherheit und der Marktüberwachung liefern.

ANJA INGENRIETH FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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