Budapest Kritik an Ungarns Flüchtlingspolitik

Budapest · Regierungschef Orbán will Flüchtlinge für die Dauer ihres Asylverfahrens in Containerdörfern an der Grenze festsetzen lassen. Der Menschenrechtsgerichtshof stoppte die umstrittene Praxis vorläufig.

Für den Transport war alles vorbereitet: Eine schwangere Asylbewerberin aus Uganda und acht Jugendliche sollten aus einem Kinderheim im Budapester Vorort Fót in eine der neuen Containerburgen an der südungarischen Grenze gebracht werden. Doch noch ehe das neue Gesetz in Kraft trat, schritt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg ein: Er gab einem Begehren des ungarischen Helsinki-Komitees statt und stoppte die geplante Internierung mit einer einstweiligen Verfügung. Das Innenministerium in Budapest bestritt gestern, die Internierung angeordnet zu haben.

Ernö Simon vom Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Budapest sagt: "Das neue Gesetz widerspricht der Genfer Flüchtlingskonvention, europäischen Menschenrechten und EU-Recht." Es ermächtige die Behörden, "Flüchtlinge und Migranten ohne Ausnahme, auch Jugendliche und Kinder, bis zum Ende des Verfahrens in Polizeigewahrsam zu nehmen". Ein Asylantrag sei kein Delikt, und ohne Verdacht könnten Menschen maximal 72 Stunden festgehalten werden. Asylverfahren jedoch können Monate dauern. Ungarn garantiere mit blockweise verfügten Ablehnungsbescheiden nicht mehr das Grundrecht auf individuelle Verfahren.

Helfern und Journalisten ist der Zutritt zu den Containerdörfern verboten. Der UNHCR-Vertreter spricht von "gefängnisähnlichen Bedingungen", weshalb auch der EGMR von der Budapester Regierung fordert, bis 10. April Auskunft darüber zu geben, wie es um die Versorgung mit Nahrung, um Hygiene, medizinische Betreuung und die Ausbildung des Personals bestellt ist. Mehr Sorge bereite ihm aber, so Simon, dass selbst Kinder und Jugendliche "ungerechtfertigt hinter Gittern festgehalten werden". Auch alleinstehende Minderjährige können nun bereits ab 14 statt wie bisher 18 Jahren interniert werden. Doch gerade diese Altersgruppe bedürfe besonderen Schutzes. Auch der Europarat ist alarmiert und befürchtet in einem Schreiben Ausbeutung und sexuellen Missbrauch.

Der im Herbst 2015 errichtete vier Meter hohe Grenzzaun zu Serbien wurde seither ständig ausgebaut. Die Barriere erweckt mittlerweile den Eindruck einer militärischen Befestigung, als drohe Ungarn akute Kriegsgefahr vom Balkan. Aber es sind lediglich Elendsgestalten, die auf der anderen Seite auf Einlass warten. Eine aggressiv quäkende Lautsprecherstimme warnt jeden, der sich dem Grenzzaun nähert: "Achtung! Achtung! Wenn Sie den Zaun beschädigen, illegal passieren oder dies versuchen, wird das in Ungarn als Verbrechen bestraft."

Nur zehn Asylbewerber pro Tag durften zuletzt die Transitzone passieren und einen Asylantrag stellen - selbst diese Möglichkeit schränkt das neue Gesetz ein. Márk Kékesi von der Organisation "Migration-Solidarität" meint: "Vor allem soll das Flüchtlinge von Ungarn abschrecken, aber ich fürchte, sie werden häufiger illegale Wege suchen, also sich Schleppern anvertrauen."

Zwischen Belgrad und der ungarischen Grenze warten derzeit rund 8000 Menschen, vorwiegend junge Männer, auf ein Weiterkommen Richtung Österreich und Deutschland. Regierungssprecher Lászlo Kóvacs bestreitet unterdessen jegliche Verletzung internationalen Rechts. Die Behauptung, Ungarn stecke Flüchtlinge wie Kriminelle in Gefängnisse, sei eine Lüge: "Sie dürfen sich nur nicht frei bewegen, bis der Asylbescheid da ist."

(RP)
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