Analyse zur Krise auf der Krim Wladimir Putin strebt nach alter Sowjetmacht

Moskau · Was treibt Wladimir Putin an? Warum riskiert er auf der Krim einen Krieg gegen die Ukraine? Die Antworten sind in seiner persönlichen Biografie zu finden, aber auch in seiner politischen Strategie. Sie zielt darauf, ein Trauma zu bewältigen: den Zerfall der UdSSR.

 Entschlossener Schritt: Wladimir Putin zeigt im Ukraine-Konflikt eiskalte Härte.

Entschlossener Schritt: Wladimir Putin zeigt im Ukraine-Konflikt eiskalte Härte.

Foto: ap

Als Wladimir Putin bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 die Welt mit dem Vokabular eines kalten Kriegers frösteln ließ, beruhigten sich westliche Politiker damit, dass er nur verbal seinen Anspruch auf Mitgestaltung in allen Regionen der Welt untermauern wollte. Doch nun lässt Putin den Worten militärische Taten auf der Krim folgen. Um den Einfluss Moskaus auf die Ukraine zu sichern, riskiert er sogar Krieg. Was ist das für ein Mann, der offensichtlich skrupellos die Kanonenbootpolitik der imperialistischen Mächte des 19. Jahrhunderts im Atomwaffenzeitalter wiederbelebt?

Erlebnisse aus der frühsten Jugend

Eine Antwort liegt in seiner Persönlichkeit. Dass er sich mit muskelgestähltem nackten Oberkörper den Medien zu Pferde präsentiert, sich dabei filmen lässt, wie er beim Judo jeden Gegner aufs Kreuz legt, im Schwimmbad athletisch seine Bahnen zieht oder stundenlang seine Durchschlagskraft als Eishockeyspieler trainiert, hat offensichtlich mit prägenden Erlebnissen in frühester Jugend zu tun.

Aufgewachsen in den 50er Jahren auf den Hinterhöfen einer Arbeitersiedlung in Leningrad, machte er die Erfahrungen aller Jungen: dass sich die Körper in der Pubertät unterschiedlich entwickeln. Gerade noch tonangebend in seiner Gruppe, reichte der "Charakter" des eher schmächtigen Jünglings für eine Führungsrolle nicht mehr aus. Putin meldete sich deshalb zum Judo an: "Ich brauchte Instrumente, um meine Stellung im Rudel aufrechtzuerhalten", verriet er rückblickend in einem Interview.

Eiskaltes Vorgehen

Der Satz passt auch auf sein politisches Vorgehen — bis hin zur eiskalten Militärintervention auf der Krim: mit "Instrumenten" die "Stellung im Rudel aufrechterhalten". Es war eine doppelte Erfahrung, die ihm jede Schwäche als dramatisch erscheinen ließ. Sein Vater kämpfte im Krieg gegen die Deutschen, seine Mutter erlitt die zweieinhalbjährige Belagerung Leningrads durch die Deutschen, während der sie ihren ersten Sohn verlor. Auch wenn im Hause Putin nicht viel geredet wurde, stand doch fest, dass der sowjetische Kommunismus nie wieder Schwäche zeigen dürfe.

Aus dieser Stimmung heraus verpflichtete sich Putin — nach dem Umweg eines Jurastudiums — beim sowjetischen Geheimdienst, verbrachte als Agent auch Jahre in der DDR und war fasziniert von einer todesmutigen Überzeugung, wonach der Einzelne sein persönliches Leben bedingungslos in den Dienst eines starken Staates stellt.

Es folgte die zweite Schwäche-Erfahrung: der Zerfall des Sowjetreiches. Gerade für KGB-Offiziere mit dem Anspruch auf weltweite Beeinflussung wurde der Untergang der Sowjetunion zum Trauma. Aber auch der dramatische Kontrollverlust der staatlichen Institutionen im Innern und die hemmungslose Bereicherung russischer Oligarchen prägten Putin, bei dem eine persönliche Niederlage hinzukam: Er gehörte zum Stab des 1996 unterlegenen Petersburger Bürgermeisters und stand ohne Job da.

Aber als Mitstreiter eines örtlichen Wahlkampfbüros war Putin Russlands Präsident Boris Jelzin empfohlen worden. Er wechselte nach Moskau — und machte eine atemberaubende Karriere. Binnen vier Jahren stürmte er aus dem Nichts an die Spitze des Staates. Nicht wegen seiner diplomatischen Verbindlichkeit, sondern weil er in einer Phase der Orientierungslosigkeit zu den wenigen gehörte, die mit harter Hand aufzuräumen begannen. Ich acht Worten fasst er selbst seine Motivation zusammen: "Ich wollte schlicht und einfach für Ordnung sorgen."

"Keine Schwäche zeigen"

Dabei unterwarf er sich keinen Beschränkungen. Die Oligarchen nahm er an die Kette und sorgte dafür, dass Wirtschaftslenker mit eigenen Vorstellungen — Rechtsstaat hin oder her — im Gefängnis landeten. Nach Terroranschlägen überzog er Tschetschenien mit Krieg. Mit Blick auf die Krim ist seine damalige Erklärung entlarvend: "Hätten wir Schwäche gezeigt, wären die Folgen schrecklich und die Zahl der Opfer viel höher gewesen."

Die Entwicklung einer Ukraine, die sich von Russland emanzipiert, kommt Putin offensichtlich ebenfalls als Schwäche Russlands vor. Doch Putin will, dass nichts ohne seinen Willen geschieht. Das hatte er schon bei seiner Rede im Bundestag im Jahr 2001 klargemacht, damals noch eher in einem bittenden Ton, wonach doch möglichst nicht mehr "Entscheidungen ohne uns getroffen" werden mögen.

Vertraute beschreiben ihn auch als Mann, der nie vergisst, wenn er sich hintergangen oder getäuscht fühlte. So hat er wiederholt zu verstehen gegeben, warum er dem Morden in Syrien keinen Einhalt gebot: Weil er dem Westen zuvor erlaubt hatte, zum Schutz der Menschen in Libyen einzuschreiten, der Westen das aber genutzt hatte, um Gaddafis Regime wegzubomben. Putin muss sich dabei schwach vorgekommen sein. Das Gegenteil treibt ihn an. Und wenn es viele Tausend Menschenleben kostet.

(csi)
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