Analyse Krieg? Bitte ohne uns!

Berlin · Die bittere Erfahrung zweier Weltkriege hat Deutschland tief geprägt. Auch in der Frage, ob die Regierung Waffen in den Irak liefern sollte, sind die Bürger skeptisch. Die Kanzlerin hat nicht viel Zeit, ihre Landsleute zu überzeugen.

In Fragen von Krieg und Frieden ist eine Regierung auf den Rückhalt in der Bevölkerung angewiesen. Denn militärische Konflikte muten einer Bevölkerung immer Erhebliches zu: Im schlimmsten Fall kosten sie das Leben der eigenen Söhne und Töchter. Sie bedeuten finanzielle Lasten und laden moralisch Schuld auf ein Volk. Denn auch mit modernen Waffen kann eine kriegerische Auseinandersetzung nicht ohne das Risiko unschuldiger Opfer geführt werden. All dies gilt auch für Waffenlieferungen.

Bislang hat die Bundesregierung bei ihrer Entscheidung, die Kurden im Irak für ihre Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" mit Waffen auszurüsten, die skeptische deutsche Bevölkerung gegen sich. Laut ZDF-"Politbarometer" lehnen 67 Prozent der Deutschen die gerade beschlossenen Waffenlieferungen an die Kurden im Irak ab. Nur 27 Prozent unterstützen die Pläne für die Waffenlieferungen. Die Skepsis zieht sich durch sämtliche politische Lager.

Bei der Frage, ob Deutschland künftig mehr Verantwortung bei der Lösung internationaler Konflikte übernehmen soll, ergibt sich ein differenzierteres Bild: Mit 49 Prozent stimmt knapp die Hälfte dem zu.

Der Historiker Arnulf Baring nennt das dominierende Gefühl in der Bevölkerung "einen Zweifel, der alle umtreibt". "Wenn wir die Bilder der fliehenden Jesiden-Kinder im Irak sehen, ist klar, dass wir sie nicht diesen brutalen Mordaktionen der islamistischen Terroristen ausliefern dürfen", sagt Baring. Für weiter reichende Militäreinsätze im Nahen Osten sieht er die Deutschen allerdings weder militärisch gerüstet, noch gebe es dafür den notwendigen Rückhalt in der Bevölkerung.

Für eine größere Zustimmung, was die geplanten Waffenlieferungen betrifft, wird die Regierung in den nächsten zwei Wochen werben müssen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) werden ihren Schwenk erklären müssen. Binnen etwa zehn Tagen hatten sie die Entscheidung getroffen, von ihrer bisherigen außenpolitischen Linie abzugehen, wonach keine Waffen in Krisengebiete geliefert werden. Die Regierung war getrieben von den Bildern der Gewaltexzesse, die der "Islamische Staat" auf seinem Eroberungszug von Syrien in den Irak verbreitete. Und sie stand international unter Druck, nachdem eine Reihe von Westmächten ihr beherztes Eingreifen in diesen Konflikt angekündigt oder schon vollzogen hatten.

Nun muss der Bevölkerung erklärt werden, welche Tragweite die Entscheidung hat und was sie für andere Krisenherde in der Welt bedeutet. Regierungssprecher Steffen Seibert versicherte gestern, es gebe keinen "Automatismus", auch in andere Krisenregionen Waffen zu liefern.

Die nächsten zwei Wochen werden entscheidend dafür sein, ob die deutsche Bevölkerung die Waffenlieferungen hinnimmt oder ob sich auch öffentliche Proteste gegen die Regierung entwickeln. Am kommenden Mittwoch soll das Kabinett entscheiden, welche Geräte genau an die Kurden im Irak geliefert werden. Am 1. September findet dann eine Sondersitzung des Bundestags statt. Darauf einigten sich gestern die Fraktionen des Parlaments. Merkel will eine Regierungserklärung abgeben, der eine Debatte im Bundestag folgen soll. Der Bundestag muss formal nicht über die Waffenlieferungen entscheiden. Doch vor dem Hintergrund, dass Deutschland erstmals Waffen in ein Krisengebiet liefert, die direkt zum Töten eingesetzt werden können, hat die Opposition energisch eine öffentliche Debatte eingefordert. Die Regierung beeilte sich daraufhin zu versichern, dass man dem Wunsch des Parlaments nachkommen werde.

In ihrer Erklärung wird Merkel die besonderen Umstände der Entscheidung deutlich machen müssen, die Brutalität des IS und seine Gefährlichkeit für die Welt. Sie wird auch erklären müssen, wie die neue Verantwortung in der Außenpolitik zu verstehen ist und dass trotz der Waffenlieferungen die Bundesrepublik an ihrem Grundsatz festhält, in Krisengebieten humanitäre Hilfe zu leisten, diplomatisch tätig zu werden und Sanktionen zu verhängen.

Denn sollte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, Deutschland könne nun in die Rolle der Weltpolizei schlüpfen, wie es bislang die Amerikaner immer wieder taten, dürfte das die Akzeptanz der Waffenlieferungen erschweren. "Wir sind keine Weltmacht, wir sind eine Regionalmacht", mahnt der Historiker Baring.

In der Rolle der Weltpolizei gab Amerika zuletzt im Irakkrieg ein schlechtes Vorbild ab. Als die Amerikaner 2002 den Krieg ankündigten, verweigerten die Deutschen ihre Gefolgschaft. "Ich bin nicht überzeugt", sagte damals Außenminister Joschka Fischer von den Grünen und hatte die große Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit hinter sich. Wie sich später herausstellte, lag die rot-grüne Bundesregierung, die unter anderem dank ihres Neins zum Irakkrieg die Bundestagswahl 2002 gewinnen konnte, auch inhaltlich richtig: Die Gründe der Amerikaner für den Krieg waren nicht stichfest.

Konsequenterweise zog Obama die Truppen ab, die sein Vorgänger geschickt hatte. Nun muss er in der kriegsmüden amerikanischen Öffentlichkeit erneut dafür werben, dass die Amerikaner im Irak eingreifen. Seine Worte sind drastisch, seine Rhetorik ist dramatisch, sein Tonfall propagandistisch. Er braucht den Rückhalt im Volk für die teuren und riskanten Eingriffe seiner Luftwaffe.

In dieser Woche brachte die martialische Enthauptung des Fotoreporters James Foley einen Stimmungsumschwung in der amerikanischen Bevölkerung. Der grausame Tod des eigenen Landsmanns hat viele Amerikaner umdenken lassen.

(qua / rl)
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