Zufriedene Patienten Krankenkassen bestreiten Ärztemangel

Berlin · Nach einer Umfrage im Auftrag der Barmer GEK sind 90 Prozent der Deutschen zufrieden mit der Mediziner-Dichte in Deutschland.

Eine Studie der Krankenkasse Barmer GEK, wonach die Patienten vom Ärztemangel bisher wenig spüren, hat für reichlich Widerspruch bei Medizinern und Patientenorganisationen geführt. Was die Anzahl und Erreichbarkeit von Hausärzten in Städten und auf dem Land angehe, zeigten sich über 90 Prozent der Bürger "zumindest zufrieden", zeigt die TNS Infratest Umfrage im Auftrag von Barmer GEK und Bertelsmann Stiftung. "Die Zufriedenheit ist bezüglich der Fachärzte etwas geringer, aber auch hier sind nur 15 Prozent der Bürger mit Anzahl und Erreichbarkeit unzufrieden", sagte Brigitte Mohn, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung.

Angesichts der Ergebnisse der Studie sagte der Chef der Barmer GEK, Christoph Straub, es gebe keinen Anlass für hektische oder aggressive Diskussionen um Ärztemangel. "Wir haben im Vergleich zu anderen Industriestaaten eine hohe Ärztedichte", betonte er.

Die Ärzteschaft zeigte sich empört über die Studie. "Es ist ein Trugschluss zu glauben, der Ärztemangel werde überdramatisiert, weil die Bevölkerung diesen jetzt nicht spüren würde", sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Köhler. "Wir schätzen, dass bis zum Jahr 2020 immerhin 66 830 Niedergelassene in den Ruhestand gehen werden." Die Situation werde sich also drastisch verschärfen. "Wer den Ärztemangel jetzt noch infrage stellt, verkennt eindeutig die Situation", sagte Köhler.

Aus Sicht von Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery ist die Zufriedenheit der Bürger lediglich auf das große Engagement der Mediziner zurückzuführen. "Ärzte in Klinik und Praxis kompensieren durch überlange Arbeitszeiten die Folgen des Ärztemangels — oftmals auch auf Kosten der eigenen Gesundheit und natürlich zum Nutzen der Krankenkassen", sagte Montgomery. "Lange geht das nicht mehr gut", warnte er. Harte Versorgungsdaten belegten, dass die personellen Lücken in der ambulanten und stationären ärztlichen Versorgung immer größer würden.

Auch vonseiten der Patientenverbände kommt Protest gegen die Studie. In den vergangenen zehn bis 15 Jahren hätten sich die Wartezeiten für Patienten auf einen Arzttermin dramatisch ausgedehnt, betonte Armin Candidus, Präsident der der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten. So müssten Patienten mit einem "Burn-out" durchschnittlich acht Monate auf eine Behandlung warten. Für Schmerztherapie betrage die durchschnittliche Wartezeit sechs Monate. Die Ärzte würden Leistungen und Termine immer vorsichtiger vergeben, weil sie ansonsten ihre Budgets überschritten. "Wir haben Versorgungsengpässe", widersprach Candidus den Umfrageergebnissen. Dies zeigten auch Anrufe und Schreiben an die Patientenorganisation. Der Bertelsmann-Stiftung und der Krankenkasse warf er vor, in ihren Studien so zu fragen, dass es die gewünschten Ergebnisse gebe. "Wenn man 75 Prozent Gesunde fragt, bekommt man positive Ergebnisse", sagte Candidus.

Seit Anfang des Jahres ist das Landarztgesetz (Versorgungsstrukturgesetz) in Kraft. Es setzt jungen Medizinern Anreize, sich jenseits der Ballungszentren niederzulasssen. Mit diesem Gesetz reagierte die Bundesregierung auf den wachsenden Mediziner-Mangel in ländlichen Gebieten. Von Fachleuten wurde vielfach bemängelt, dass es in Deutschland zwar nicht zu wenig Praxis-Ärzte gebe, dass diese aber falsch verteilt seien. So tummeln sich vor allem in den Großstädten Berlin, Hamburg und München mehr niedergelassene Mediziner, als es die Bedarfsplanung vorsieht. Auf dem Land fehlen sie oft. Das Problem wird dadurch verstärkt, dass die Niederlassungsbereiche für die Ärzte relativ großzügig geschnitten sind, so dass die Kassenärztlichen Vereinigungen die Praxen nicht zielgenau verteilen. In Großstädten führt dies auch dazu, dass sich in den besseren Wohngegenden mehr Arztpraxen finden als in den sozial schwierigen Vierteln.

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) teilt die Kritik der Ärzte an der Studie nicht. "Die Umfrage beweist die große Zufriedenheit der Menschen mit ihrer ärztlichen Versorgung", sagte Bahr unserer Zeitung. Aber Bahr sieht sehr wohl auch den drohenden Ärztemangel in wenigen Jahren. "Gerade auf dem Land haben Ärzte Schwierigkeiten, Nachfolger zu finden", betonte er. Die Bundesregierung habe mit dem Versorgungsstrukturgesetz vorausschauend gehandelt. Rechtzeitig würden Anreize gegen einen drohenden Ärztemangel ergriffen.

Für die Zukunft gehen auch die Bürger davon aus, dass sich die ärztliche Versorgung verschlechtern könnte. Der Barmer-Umfrage zufolge gehen 34 Prozent der Bewohner in ländlichen Räumen davon aus, dass die Anzahl der Fachärzte in ihrer Region abnehmen wird. Eine Mehrheit allerdings meinte, die Zahl der Fachärzte bleibe erhalten.

(qua)
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