Berlin Kraft schmiedet Achse

Berlin · Nordrhein-Westfalens Regierungschefin Hannelore Kraft hat in den vergangenen Jahren einen einflussreichen Zirkel führender SPD-Politiker um sich geschart. Sollte Kraft Neuwahlen in NRW gewinnen, muss Parteichef Gabriel aufpassen: Dessen Kanzlerkandidatur kann Krafts Clique verhindern.

Auf einer Betriebsrätekonferenz 2009 brach das Eis. Olaf Scholz, der kühle Norddeutsche mit dem Hang zum Oberlehrerhaften, und Hannelore Kraft, die bodenständige SPD-Frau aus dem Ruhrgebiet, tauschten sich vor der Bundestagswahl erstmals persönlich und intensiv über die Zukunft der SPD aus. Scholz und Kraft, zwei unterschiedliche Charaktere, deren Kontakt sich auf das Händeschütteln in den Gremien beschränkte, verstanden sich auf Anhieb. Ein pragmatischer, konkreter Politikansatz jenseits der theorielastigen Rhetorik eint beide.

Seither ist der Draht zwischen Hamburg und Düsseldorf gut. Sollte Scholz im Februar Hamburgs Bürgermeister werden, sind Scholz und Kraft die neuen starken Länderfürsten der SPD. Beide hätten nach der historischen Wahlschlappe der SPD bei der Bundestagswahl eine konservative Landesregierung abgelöst. Der Weg der SPD an die Macht im Bund über die Macht in den Ländern – sollte er gelingen, er wäre mit den Namen Kraft und Scholz verbunden.

Scholz ist das prominenteste Beispiel für eine bisher unbekannte Netzwerk-Kompetenz Krafts. In den vergangenen Jahren hat die SPD-Politikerin, die als Quereinsteigerin ohne das Stahlbad der innerparteilichen Ochsentour Karriere machte, zielstrebig ein Netz an einflussreichen Vertrauten geknüpft. Dazu gehören neben Scholz der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit, die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck sowie die Landeschefs Heiko Maas (Saarland), Florian Pronold (Bayern) und Thorsten Schäfer-Gümbel (Hessen). Wenn Kraft und ihre Clique wollten, hätten sie 70 Prozent der Delegierten auf einem Parteitag hinter sich.

Für SPD-Chef Sigmar Gabriel kann das gefährlich werden. Zu dem Vorsitzenden hält Kraft ein eher "distanziert-professionelles Verhältnis", beschreibt einer aus der Berliner SPD-Spitze. Mit Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat Kraft wenig Berührungspunkte.

Krafts Einfluss erwächst über die Länder. Beispiel Kurt Beck: Als der frühere SPD-Chef im Jahr 2008 der hessischen Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti freie Hand für eine Koalition mit der Linken gab und dafür von den Parteirechten massiv kritisiert wurde, war es Kraft, die Beck unterstützte. Seinen Sturz als Parteichef bedauerte sie. Die Loyalität dankt der Pfälzer der Mülheimerin bis heute. Auf dem Empfang zu Kurt Becks 60. Geburtstag waren Kraft und Wowereit die einzigen Spitzengenossen. Es ist wohl kein Zufall, dass Kraft, die Diplom-Ökonomin, die Schröders Agenda-Reformen stets verteidigte, sich mit der SPD-Linken verbündet. Krafts unideologisches Politikbild lässt in einem zerfaserten Parteiensystem keine generelle Absage für eine Koalition zu. Als es im Februar 2008 im SPD-Präsidium zu einer offenen Auseinandersetzung über eine Koalition mit der Linken kam, bezog Kraft Position. Sie habe keine Lust, diese Option auszuschließen, sagte sie. Zwei Jahre später wurde die SPD-Frau dank der Enthaltung der Linken NRW-Ministerpräsidentin.

Der linke Flügel steht vor einer Renaissance. Scholz, Wowereit, Beck – alle drei haben gute Chancen, das Jahr 2011 als Regierungschef zu beenden. Und Hannelore Kraft könnte sich bei einer Neuwahl in NRW Hoffnungen auf eine echte Mehrheit machen.

Für Gabriels Ambitionen wäre ein erfolgreiches SPD-Wahljahr schädlich. Die Kraft-Achse hätte de facto eine Veto-Macht bei der Nominierung eines Kanzlerkandidaten. Gabriel hat zwar das Vorschlagsrecht, doch er braucht die Länder. Wenn sich seine persönlichen Werte aber bis 2012 nicht bessern, könnte es zum Aufstand gegen eine Kandidatur Gabriels kommen, heißt es. Scholz und Wowereit trauen sich jedes politische Amt zu.

Nicht wenige Genossen würden aber Hannelore Krafts ausgleichende, uneitle Art bevorzugen. "2013 Merkel gegen Kraft, das hätte doch was", sagt ein SPD-Parlamentarier.

(RP)
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