Kraft bangte um ihren Sohn

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat gestern die Opfer der Katastrophe im Krankenhaus besucht. Die SPD-Politikerin zeigte sich tief betroffen. Kraft hatte sich zwischenzeitlich Sorgen um ihren Sohn Jan gemacht, der mit Freunden zu Love-Parade gefahren war. Er blieb unbeschadet.

Sie mag nichts sagen, nicht jetzt. Hannelore Kraft steht mit gefalteten Händen im Unglückstunnel und blickt schweigend auf die Blumen, die sie soeben niedergelegt hat. Wenige Meter entfernt arbeitet die Spurensicherung. Die Kreideumrisse der Polizei zeigen an, wo die Opfer der Katastrophe aufgefunden wurden. Die Tragödie geht der Ministerpräsidentin nah. Sie ringt sichtlich um ihre Fassung.

19 junge Menschen haben ihr Leben verloren. Viele Angehörige hatten bis zum Schluss gehofft, dass die Vermissten sich melden. Die Nachricht von der Katastrophe in Duisburg hat Zigtausend Familien in NRW in Angst und Schrecken versetzt. Auch Hannelore Kraft war in großer Sorge.

Ihr Sohn Jan war mit Freuden aus Krafts Heimatstadt Mülheim am Samstag ebenfalls nach Duisburg aufgebrochen. Die Jungsozialisten wollten den zweiten Samstag der Schulferien bei der Love-Parade genießen. Kraft fiel ein Stein vom Herzen, als sich ihr Sohn im Laufe des Abends unbeschadet meldete.

Die Ministerpräsidentin war nach dem Eintreffen der Unglücksnachricht nach Duisburg geeilt, um sich in der Einsatzleitstelle über die Rettungsmaßnahmen zu informieren. Es war für die neue Ministerpräsidentin der erste Katastrophenfall. "Ich hoffe für die Familien, dass ihre Kinder gesund nach Hause kommen", sagte Kraft am Samstagabend in einem WDR-Interview. "Das kann man noch gar nicht verarbeiten."

Gestern, nach dem Besuch der Unglücksstelle, informiert sich die Ministerpräsidentin darüber, wie es den Verletzten geht. Zahlreiche Opfer wurden in das Malteser-Krankenhaus Sankt Anna in Duisburg-Huckingen eingeliefert. Die Chefärzte warten am Eingang auf Hannelore Kraft. Auch Innenminister Ralf Jäger ist in der Delegation. Aus Berlin sind Kanzleramtschef Ronald Pofalla und Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (beide CDU) eingetroffen, um sich über die Lage zu informieren.

Drittes Obergeschoss, chirurgische Abteilung. Im Krankenzimmer zwei stehen drei Betten. Zwei sind noch unbelegt, im ersten liegt ein Mann mit Unterschenkelfraktur. Sein Name ist Olaf Johann. Kraft reicht dem 39-Jährigen die Hand und fragt mit leiser Stimme, wie es ihm geht.

Der Monheimer war am Mittag mit dem Zug von Düsseldorf nach Duisburg gefahren. Vom Hauptbahnhof ging er mit dem Menschenstrom zu Fuß zum Veranstaltungsort. "Wir haben für den kurzen Weg 90 Minuten benötigt, weil es so voll war", erzählt der Mercedes-Mitarbeiter unserer Zeitung. Schon dabei sei ihm "mulmig" gewesen, weil wegen der Absperrungen es keine Möglichkeit gab, auszuscheren. Johann schafft es noch, durch den Tunnel zu kommen. Danach ist er gestürzt und hat er einen "Blackout".

"Ich bin erst wieder im Sanitätszelt zu mir gekommen", berichtet der Monheimer. Deshalb kann er zu den Abläufen nur wenig sagen. "Fest steht, dass die Sache falsch geplant war", sagt Johann. "Ich war schon oft bei der Love-Parade", berichtet der Verletzte. "So ein gefährliches Nadelöhr wie in Duisburg hat es noch bei keiner anderen Veranstaltung gegeben."

Johann hat noch Glück im Unglück gehabt. Viele Opfer, die im Duisburger Sankt Anna Krankenhaus liegen, haben weitaus schwerere Verletzungen, berichtet Klinikleiter Andreas Lahm der Ministerpräsidentin. Einige seien von Notfallpsychologen betreut worden. "Manche waren traumatisiert, hatten Angst vor Enge oder wollten sich nicht anfassen lassen."

Der Besuch in der Klinik dauert rund zwanzig Minuten. Kraft ist nicht nach vielen Worten zumute. "Unser Entsetzen über das schreckliche Unglück lässt uns verstummen", erklärt die Ministerpräsidentin. "Das ganze Land trauert um die jungen Frauen und Männer, die friedlich feiern wollten und bei diesem grauenhaften Drama ihr Leben verloren haben."

Kraft steigt mit dem Innenminister in den Dienstwagen und winkt noch kurz einer Passantin zu. Viele Patienten und ihre Angehörigen haben die Interviews vor dem Klinikeingang aus der Nähe beobachtet. "Ich wusste zwar nicht, dass das die Ministerpräsidentin war", sagt eine Patientin mit Gipsarm. "Aber sie hat die richtigen Worte gefunden. Frauen können besser trösten als Männer."

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