Warum Ansichtskarten heute noch Charme haben Mehr als einfach nur ein Gruß

Meinung | Düsseldorf · Früher lieferten Ansichtskarten Bilder aus fernen Landen. Heute haben sie eine andere Funktion. Die ist vielleicht noch wichtiger. Warum die Postkarte aus dem Urlaub eine kleine Liebesklärung ist – und bleibt.

 Handgeschriebene Postkarten vermitteln immer ein besonderes Gefühl - beim Empfänger und Absender.

Handgeschriebene Postkarten vermitteln immer ein besonderes Gefühl - beim Empfänger und Absender.

Foto: obs/STAEDTLER Mars GmbH & Co. KG

Meine Oma Sofie sagte immer: „Am schönsten ist es doch zu Hause.“ Sie kannte auch nichts Anderes. Eine Fahrt vom heimischen Niederrhein ins nahe Köln war für sie fast schon eine Weltreise.

Ob sie heimlich davon geträumt hat, mit ihrem Mann Heinrich einmal nach Paris zu fahren oder nach Rom, hat sie nie verraten. Aber bei jeder meiner Reisen in diese und andere wunderbare Orte musste ich versprechen, Ansichtskarten zu schicken. „Ich will doch wissen, wie es dir geht“, sagte sie stets beim Abschied und drückte mich fest an sich. Also schrieb ich brav und berichtete wahrheitsgemäß, wie das Essen schmeckt und ob die Sonne scheint.

Meine Karten, verfasst in krakeliger Schrift, lagen immer auf dem Tisch, wenn ich wieder nach Hause kam. „Dann erzähl’ doch mal“, sagte sie. Und wollte alles ganz genau wissen. Meine Reisen wurden zu ihrem Erlebnis, weil sie durch mich das Rheinland verlassen und die Welt kennenlernen konnte. Das reichte ihr. „Besser als Fernsehen“, sagte sie häufig, wenn wir uns unterhielten.

Meine Oma ist 1982 gestorben. Und dennoch denke ich bei jeder meiner Reisen an sie. Mein Reisetagebuch – nicht aufgeschrieben, aber im Hinterkopf gespeichert – orientiert sich bis heute an dem, was meine Oma interessiert hätte. Das fängt mit dem ganz Praktischen an (Essen, Wetter, Quartier) und findet seine herzliche Ausprägung im Menschlichen, Oma fragte so gerne: „Hast du denn nette Leute kennengelernt?“

Wenn ich heute von meinem zehnjährigem Patenkind Johanna eine handgeschriebene (!) Urlaubskarte geschickt bekomme, bin ich so gespannt wie seinerzeit meine Großmutter, wie es denn so gewesen ist in fernen Landen. Und wie meine Oma freue ich mich über das Foto, den Gruß oder ein Mitbringsel. Wichtiger aber als der mitgebrachte Rosenkranz aus dem Vatikan war für meine Oma, dass ich an sie gedacht hatte.

So kann auch im Sommer 2021 eine Ansichtskarte aus dem Urlaub eine Liebeserklärung sein. Wie sagt der Rheinländer? Nä, wat hann Ich dich jään!

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